Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 5. Februar 1944
5. Februar 1944
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Meine liebe, gute Elsbeth!
Diesen Brief wirst Du wohl um den 12. Februar herum bekommen. So will ich mich denn hierin auf Deinen Geburtstag einstellen.
Vorerst wünsche ich Dir alles Gute für Dein nächstes Lebensjahr. Ich hatte versucht, Dir eine Freude zu machen, indem ich mich von einem „Fotografen“ fotografieren ließ. Ich lege die Bilder bei, damit Du sie zerreißen kannst. Zeige sie um Gotteswillen Niemanden. Außerdem habe ich hier so ein Marterl im Geschäft gefunden. Nimm es denn als kleines Geburtstagsgeschenk, damit Du wenigstens einmal etwas Anderes als ein Buch hast. (Mach Dir keine komischen Gedanken, diesmal ist es etwas Gekauftes, ich bin ja im Augenblick nicht vorne.) Zu Dorotheechens Namenstag
liegt ein geschnitztes Fräuchen bei.
Jeder Geburtstag oder Namenstag bringt einem die Vergangenheit wie einen Film vor Augen. Während man bei sonstigen Briefen mehr das Augenblickliche erfaßt, denkt man an solchen Tagen aber immer an frühere, schöne Stunden, Zeiten oder Abschnitte. Fast regelmäßig beginnt es damit, daß ich mich mit Dir im Persil- oder Zigarettenfilm sehe, den Kopf voller Spannung – aber nicht auf den Film. Oder, wie war es, als wir Jungen nach einer Probe in der Redoute auf einer Bank saßen und Deine Haare kitzelten mir geradezu aufreizend am Hals, sodaß ich mich sonst „kalter“ Mensch kaum beherrschen konnte. Einer der schönsten Erinnerungen aus der Anfangszeit ist, als Du mir bei einer Probe einmal einen richtigen festen Kuß gabst, während Du sonst meist unbeholfen markiertest. Wie mir damals so dämmerte, daß Du mich und nicht einen Anderen
lieb hattest. Mit welchen Gedanken ich damals nach Hause ging. Ach, die waren schön. Die erste „Trennung“ für 8 Tage, als Du mich schnöde verließt und zur Freusburg fuhrst. Und ich war dann abends „oft allein“. Und Pfingsten – Hannes zum ersten mal nicht auf Fahrt. Und dann die Fahrt ins Bergische Land mit Franz. und Pol. Welch ein seltsames, beglückendes, aber etwas zaghaftes Gefühl, mit Dir in einem Zelt schlafen. Weißt Du noch, als Franz einmal sagte: „Komm net zu noh aan mich, ich kann dat net verdraage“. „Notgedrungen“ mußtest Du dann näher an mich heranrücken. Es war die Zeltnacht, wo wir uns des anderen Morgens an einer Wasserleitung in einem Steinbruch gewaschen haben und ich von Dir noch ein Bildchen beim Zähneputzen geknipst habe.
In dem Straußkonzert kitzelten mich Deine
Haare auch so.
Wenn ich an dieses und an all das Schöne, was später folgte denke, fühle ich mich so jung wie damals. Überhaupt, wenn ich an uns beide denke, ist mir, als ob die Zeit mit damals stehen geblieben wäre. Die Lebensjahre, die Du und ich haben, es sind, mit Dorotheechen zusammen, schon 70, kommen mir direkt lächerlich und gelogen vor. Ich glaube, es wird mir dann auch noch so zumute sein, wenn Dorotheechen eines Tages kommen wird und sagt: „Darf ich einmal den Hans oder Fritz od. sonstwen mit nach Hause bringen“. Überleg Dir mal, wie das sein wird. Ich muß sagen, daß ich schon jetzt auf diesen Tag gespannt bin und mich freue. Seltsam, nicht. Aber, ich glaube, dann kommen uns all die verschmitzten „Raffinessen“ von früher mit einem Lächeln wieder hoch.
Ich kenne Deine „Angst“ vor Deinen Geburtstagen. Aber, liebe Elsbeth, mach’ es doch auch so. Und wenn wir so miteinander bleiben, wie bis jetzt, in Liebe und Glück, wird unser ganzes Leben Jugend bleiben. Aber ich weiß, es ist bei Dir im Geheimen ja auch so.
Für Dein nächstes Lebensjahr und unser Leben wünsche ich, daß wir so glücklich bleiben, daß es so sein kann, wie ich sagte. Dir speziell wünsche ich aber noch, daß Dein Gesundheitszustand sich auch bald bessert. Gerade kommt mir Alfred Hollenbecks Lieblingsspruch, der auch Mohrens [Freunde] Spruch war, ins Gedächtnis:
Seele und Leib, aber den Leib nicht zuletzt, sondern zu allererst! Leib und Seele!
Oder war es nicht umgekehrt. Aber das ist ja egal. Leib und Seele sind eben unverbrüchlich zusammen. Also, müssen