Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 6. April 1944

6. April 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Zuerst entschuldige, wenn ich ein paar Tage nicht geschrieben habe. Aber … Minenpläne, Minenpläne. Dazwischen hatte ich noch eine Sperrerkundung durchzuführen, die alle Zeit, mehr aber noch alles Denken in Anspruch nahm.

Nun aber zu Deinen Briefen, wofür herzlichen Dank. Ebenfalls kam ein Päckchen mit Kuchen und Traubenzucker an, auch dafür Dank.

Also, Dorotheechen hat Läuse. Da müßt Ihr aber sehen, daß Ihr sie wegbekommt, denn Kopfläuse sind noch unangenehmer als Kleiderläuse. Aber bei einem so kleinen Kind sind die Härchen ja noch ziemlich dünn, sodaß man mit dem Staubkamm gut durch kann.

Meine Läuse sind im Entschwinden begriffen.

Seit einer Woche sind wir an der Küste und verminen. Gestern habe ich einen größeren Abschnitt abgeschlossen und die Minenkarten, -Skizzen, -Pläne und -Sperrbeschreibungen übergeben. Nachts gings aber auch durch.

Diese Nacht wurden wir wieder durch eine tolle Schießerei

geweckt. 1½ km vor der Küste arbeitete ein Minenräumboot. Es wurde von 2 engl. Kanonenschnellbooten angegriffen und in Brand geschossen. Brennend setzte es auf den Strand. 8 Mann und der Kapitän konnten sich retten, jedoch verwundet. Der Kapitän, der mit einem Oberschenkelsteckschuß und einem leichten Kopfschuß schwimmend das Ufer erreichte, trug krampfhaft zusammengeknüllt die Flagge. Es ist das Einzige, was vom Schiff gerettet werden konnte. Kurz darauf gabs eine ungeheure Detonation, sodaß das Schiff mit den restlichen 6 Verwundeten auseinanderbarst. Die im Schiff befindlichen Wasserbomben waren hochgegangen. Ein Feuerregen ergoß sich über den Wald, der sofort Feuer fing. Die Kompanie wurde zum Löschen des Brandes eingesetzt.

Am ersten Tag unseres Hierseins hatten wir schon einen Toten. Ein Pionier hatte als Letzter mit einem Kameraden die bereits verlegten Minen scharf zu machen. Versehentlich trat er darauf und ein Fleischklumpen war das, was man in eine Zeltbahn wickelte und begrub. Schuld war er selbst… Als er nämlich mit einem Feld fertig war, lief er mitten durch das Feld zum nächsten. Der

Gruppenführer rief ihm noch zu: „Kommen Sie hierher zurück!“ Er rief aber zurück: „Ach, ich weiß Bescheid, ich habe sie ja selbst verlegt!“ Sprachs, ging 4 Schritte und dies waren die letzten Schritte seines 18jährigen Lebens. So wird Ungehorsam bestraft. Für solche Dusseligkeit kann man kaum Mitleid haben. Als wir kamen, wußten wir von nichts. Ich sah aber direkt vom PKW aus von weitem, was los war, als ich einen Zug wahrnahm: voraus der Sani, dann 2 Mann die eine Last in einer Zeltplane trugen, dann noch 2 Mann mit Spaten. Ich sagte direkt zum Chef: „Da, Minenunglück.“ Man hat diese traurigen Züge schon so oft gesehen.

Die Sperrerkundung war mal wieder eine Abwechslung. 3 Tage bin ich mit dem Krad herumgefahren, sämtliche Straßen, Wege und Feldwege abgefahren, meine Zeichen in die Karte gemacht, Brücken, Durchlässe und Bäume, sowie Häuser berechnet, dabei einmal in den Bach gefahren. Dabei trage ich immer noch einen Stiefel und links die Sandale, habe einen handfesten Bambusstock zum Stützen und rauche Pfeife in Ermangelung von Zigaretten. Mittags sind wir in einem Bauernhaus eingekehrt, immer in demselben. Dort haben wir Spiegeleier, Schmalzstullen und Speck gegessen und

den unvermeidlichen „Roten“ getrunken. Dort habe ich dann noch schnell einige Aufzeichnungen gemacht. Außerdem das Haus zum Sprengen geplant. Wenn der Bauer und die Bäurin das wüßten!!! Ob sie uns dann auch so zuvorkommend bedient hätten? Ich glaube wohl von nein!

Und nun mit den Gedanken einmal zu Ostern. „Unsere“ Ostern waren doch immer schön. Das erste Fest, wo ich nicht auf Fahrt war, waren wir zur Waldau. War das nicht ein herrlicher Tag?

Und die nächsten Ostern waren doch immer ein schönes Fest für uns. Wo wir ja beide so für das erste frische Grün, junge Saat, Knospen und Blüten, für das Werden eine Schwäche haben. Unser letztes Osterfest war ja auch schön. Du in Berlin. [25. April 1943]

Nachher, als Du weg warst, war das Leben in der Baracke wieder so kalt und nüchtern. Aber lange, ja jetzt noch nach einem Jahr zehrt man von diesen Erinnerungen. Und man hofft auf später. Wie wird das mal wieder schön werden.

Hoffentlich macht dich der Onkel Doktor wieder

gesund Ich habe ja mit Freuden gelesen, daß es Deinem Herzchen wieder besser geht. Hoffentlich ist es nicht wie meistens, daß es 1 Woche gut geht, um dann wiederzukommen. Aber der Aufenthalt im Allgäu wird ja auch sein Übriges tun. Schön wäre es ja, Du gesund, ich bei Dir; dann würden wir von Memmingen einmal eine kleine Reise machen: Schongau, Füssen mit Hohenschwangau und Neuschwanstein, Ammerwald, Garmisch-Partenkirchen usw. Wäre das nicht schön?

Bei uns ist es so: Wir schwelgen abwechselnd in Erinnerungen und Zukunftsrauschen. Und das ist im Augenblick unser Leben. Aber gut, wenn das, was man sich erinnert und sich von der Zukunft erträumt, so ist, wie daß es einem das Leben so wert macht. Wie schön muß unser Leben zu Zweien (d. h. zu Dreien) wieder mal werden.

In diesen Gedanken grüße ich Dich und wünsche Dir auch zu Ostern recht schöne Gedanken. Ich

küsse Dich ganz innig auf Deinen lieben, guten und schönen Mund und bin immer
Dein Hannes.