Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 5. Mai 1944
5. Mai 1944
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Erst heute komme ich dazu, meinen letzten Brief fortzusetzen. Er wurde gewaltsam unterbrochen durch den plötzlichen Abmarsch. Wir liegen jetzt etwa 15 km von der alten Unterkunft entfernt.
Arbeit gibt’s mal wieder in reichem Maße. Interessante Arbeit aber. Behelfsbrückenbau. Eines der interessantesten Aufgaben des Pioniers-Brückenbauer. Ich fühle mich wie ein Architekt. An- und Abfahrtswege vermessen und ausheben, den Bau der Brücke selbst vermessen und berechnen. Eine Menge Zeichnungen. Meine Kompanietruppstube ist wieder mal techn. Büro geworden.
Unser neuer Komp.-Gefechtsstand ist die Winterwohnung eines großen Kapitalisten. Marmor, eichengetäfelte Wände, marmorne Spülbecken, geschnitzte antike Möbel, Musikzimmer usw. Die Sommerwohnung, etwas in den Bergen gelegen, ist ein schönes Schlößchen mit Schloßkapelle, Park, riesigen alten Ölgemälden – aber was für welche. Die Bilder in der Diele allein würden uns, Deine und meine Familie zu sehr, sehr reichen Leuten machen. Zwei Töchter sind da, eine noch hübscher als die andere. Die eine spricht fließend Deutsch und man kann sich gut mit ihr unterhalten. Wirst Du nun eifersüchtig? Ich habe gelacht: der Chef sagte, daß er das seiner Frau nicht schreiben dürfe, dann hätte sie keine Ruhe und ihre Briefe würden von Eifersucht erfüllt sein. Dabei ist er das Gegenteil des Typs „Schwerenöter“. Überhaupt, von schönen Frauen sind wir nur so umringt. Der Chef und ich schlafen nicht im
Kompaniegefechtsstand, sondern im Hause eines Arztes. Er hat eine sehr nette Frau. Sie haben schon große Kinder. Seine Schwester ist eine sehr, sehr nette Person, mit der ich mich gern unterhalte. Sie wird so 35 – 38 Jahre alt sein, hat einen netten Jungen von 12 Jahren. Sie ist eine recht frische Person. Das Haus ist ebenfalls sehr fein eingerichtet und man fühlt sich recht gemütlich und gut aufgehoben. Abends sitzen der Chef und ich immer etwas im Familienkreise und unterhalten uns. Er kann etwas Deutsch und ich radebreche etwas Italienisch. Gestern hatten wir eine interessante Unterhaltung über Mussolini.
Heute morgen hielt vor dem Dienst ein Soldat der Kompanie einen Vortrag über Japan. 18 Jahre ist der Kerl. Aber der Vortrag war fabelhaft.
Nachdem ich nun über meine Umgebung und die Frauen geplaudert habe, zu Dir. Vorerst nur noch: werde Du nicht auch noch eifersüchtig. Du bist doch noch die schönste, liebste und verehrenswerteste Frau. Ich habe Dich ganz entsetzlich lieb und ich hoffe nur, daß ich Dich Ende des Monats einmal sehe. Schreibe mir nur schnell, wo Du dann bist.
Geht es Dir wieder schlechter? Ich habe lange keine Post von Dir bekommen und warte täglich auf Nachricht. Bist Du in Oberstdorf gut untergekommen? Hoffentlich fühlst Du Dich wohl dort.
Ich weiß nicht, heute habe ich den ganzen Tag mit frohem Gemüt an Dich gedacht. Wenn ich von Gedankenverbindung etwas glauben sollte, müßte ich sagen es ginge Dir besser. Es war mir bei den Gedanken an Dich so leicht. Ich bin ja so glücklich, daß ich Dich habe und das Glück erfüllt mich ganz und gar.
In dieser Stimmung nehme ich Dich ganz fest und innig in meine Arme und küsse Dich ganz fest und innig auf Deinen lieben, guten Mund, auf Deine Augen und Stirn und auf Deine liebe, kleine weiche Brust. Ich bin immer
Dein Hannes.