Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 9. Mai 1944
9. Mai 1944
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Erst habe ich lange warten müssen auf Post von Dir und nun kommen die anliegenden Briefe auf einen Schlag an. Die Freude ist groß. Daß Du es in Oberstdorf nur so behelfsmäßig angetroffen hast, tut mir leid; aber wenn das Wetter besser wird, wird Dich ja die herrliche Landschaft dafür entschädigen. Wäre es dort so wie hier, könntest Du von morgens bis abends im Freien liegen, sogar im Badeanzug.
Hoffentlich klappt das mit Ende des Monats. Es ergeben sich schon wieder Schwierigkeiten. Die Division duldet im Allgemeinen keine O.B. über 30 Jahre. Ich bin somit schon zum „alten Eisen“ geworfen. Wenn sie nun noch meine grauen Haare sehen, kriegen sie es sicher mit dem Schrecken zu tun mit einem solch uralten, gebrechlichen und verknöchertem Manne. Aber es ist möglich, daß ich doch wegkomme auf Grund einer Sonderbeurteilung, die muß aber schon ganz besonders auf ausfallen. Aber, mein Chef (Oblt. Kleinschmidt), mit dem ich mich ganz ausgezeichnet verstehe, wird sein Möglichstes tun. Was sagst Du nun zu Deinem „Tattergreis“?
Nun etwas aus den letzten Tagen.
Bei meinen Quartierleuten haute es mit dem Essen noch nicht so ganz hin. Durch geschickte Reden und Dummstellen bei Gesprächen über bestimmte Gerichte habe ich nun erreicht, daß der Chef und ich schon mal zu Abend dort essen, um typische ital. Gerichte „kennenzulernen.“
Am Samstag gabs Spargel. Der Italiener läßt den Spargel weit (etwa 15 cm) aus der Erde schießen und sticht ihn dann. Man hat so 15 cm „Köpfchen“, was bei uns ja bekanntlich das Leckere
am Spargel ist. Das Zeug wird, wie bei uns, abgekocht und auf den Teller gelegt. Die Stangen sind ganz, haben etwa 15 cm Köpfchen und 3 cm weißes. Auf dem Teller wird das Zeug nun angerichtet durch den Essenden selbst nach Geschmack. Zuerst kommt Salz und Pfeffer und Zitrone drauf. Statt Zitronensaft kann man auch aber auch Essig nehmen. Dann gießt man reines Olivenöl in gehöriger Menge drüber, damit das Gewürz bis auf die unterste Spargellage dringt. Dann legt man ein kleines Stückchen Brot unter eine Tellerkante, sodaß der Teller schief steht. Das Öl, das durch den Spargel gelaufen ist, sammelt sich dadurch in der tiefer liegenden Tellerecke. Man nimmt nun das weiße Ende eines Spargels zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Die rechte Hand hält eine Gabel, knetet das den grünen, butterweichen Teil leicht in die Öl-, Zitronen-, Salz- und Pfeffersauce und führt den Spargel mit Unterstützung der linken Hand in den Mund. Der Mund nimmt ihn am Köpfchen auf und schlürft ihn bis zum weißen Teil. Dort wird er abgekaut und das weiße Ende wird auf einen besonderen Abfallteller abgelegt. Der Geschmack ist gut, ja man kann sagen: ausgezeichnet.
An dem Abend gab es also zuerst eine Suppe, dann Weißbrot mit rohem Schinken, dann jeder etwa 1 – 1½ Pfund Spargel mit Spiegelei, als Nachtisch Gebäck. Dazu einen wunderbaren Toskaner-Rotwein, den wir allerdings jeden Abend in beliebiger Menge uns einverleiben. Man kann sagen, „es hat geschmeckt.“
Am Sonntag Nachmittag waren Chef und ich in Pisa. Der schiefe Turm steht noch immer so schief. Der Dom ist ganz wunderbar. Eine herrliche Kuppel, eine wunderbare, reich mit Gold verzierte Kassettendecke. Rundum (im Innern) hängen riesige Gemälde der bedeutendsten ital. Künstler vom 15. bis 18. Jahrhundert. Es ist ein Genuß, dies alles zu sehen. Die Portale sind Bronzearbeiten Giotto’s. die Füllungen sind mit Reliefarbeiten ausgefüllt. Jesu im Tempel, Ölberg, Verkündung usw.
Die Säulen am Portal sind Marmorarbeiten, wie man sie sich kaum vorstellen kann. Man kann nur staunen und andächtig schauen. Die Kuppeln sind im Innern mit wunderbaren Mosaikarbeiten geschmückt. Besonders ein Mosaikbild „Gott Vater“ ist so schön. Die Mosaiksteine in Gold und weißem und farbigem Marmor aller ital. Marmorarten sind winzig klein und geben dem Bild, was sich riesig über die ganze Kuppel erstreckt, ein eigenartig kräftiges Gepräge. Der Tag war ein Genuß.
Im Übrigen gibts bei uns wieder mal nur eins: Arbeit!
Arbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Durch mein gründliches und sauberes Arbeiten habe ich eine dicke Nummer im Batl., besonders beim Kommandeur. Meine klaren Vorschläge, Zeich meine Unterhaltung usw. haben mich ihm sympathisch gemacht und er hält große Stücke auf mich.
Eben habe ich ihm einen Brückenplan abgegeben mit Holz- und Eisen- und Erdberechnung. Er sagte: „Ganz fantastisch. Die reiche ich sofort an die Division ein. Gut, gut!“ Nun habe i Dann haben wir einen Schnaps getrunken. Weißt Du, wenn ich zu Hause bin, kriege ich manchmal die Worte nicht so recht heraus. Aber hier kann ich reden wie ein Buch.
Nun habe ich aber genug mein eigenes Lob gesungen. Ich komme mir schon ganz überheblich vor.
Die junge Frau, von der ich Dir schrieb, ist abgereist zu ihrer Sommerwohnung in den Bergen. Sie hatte panra (Angst) vor den Fliegern. Schade, man konnte sich gut mit ihr unterhalten.
Und nun, meine liebe, liebe gute Elsbeth, wünsche ich Dir viel schönes, sonniges Wetter, daß Du Dich wenigstens einigermaßen erholst und daß Du vieles Schöne in Oberstdorf noch sehen kannst.
Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben guten und schönen Mund und halte Dich ganz fest lieb. Ich bin immer
Dein Hannes.