Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 17. Juni 1944

17. 6. 44

Juni!

Kennst Du noch den Monat Juni, den ich meine?

Wir saßen zusammen. Beider Gedanken waren dieselben – ganz ausschließlich dem Andern zugewendet. Alles versank. Die ersten zarten und schüchternen Berührungen am Arm, an der Wange, der Schulter, am Haar, das so glatt war und wie Seide ließen die Herzen fast hörbar schlagen. Jeder brannte darauf, sich im ersten Kuß zu vereinigen. Die Gedanken bis dahin: Ob sie es duldet, wie wird sie es aufnehmen? und: Ob er es nun tut? Und in so schöner Harmonie der erste Kuß. Ach, wenn ich daran zurückdenke! Dann die schönen Tage, die folgten. Heimliche, innige Zeit. Wie alt wir

werden. Wer kann dieses Erlebnis uns nehmen? Keiner.

In dieser Erinnerung küsse ich heute meine liebe Elsbeth, das Kostbarste, was ich auf dieser Erde besitze, mit der gleichen Zartheit, der gleichen Innigkeit und der gleichen Freude auf den lieben, süßen Mund.
Hannes