Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 20. Juli 1944

20. Juli 1944

Meine liebe, gute Elsbeth!

Ich möchte den Brief anfangen mit: „Ich habe Dich sooo lieb!“ Ich bin heute aus irgend einem Grunde entsetzlich niedergeschlagen. Weshalb, weiß ich nicht. Ich habe ein Gefühl, als ob ich hier alles an den Nagel hängen solle und zu Dir fahren müsse, um mich ganz ruhig neben Dich zu setzen und meinen Kopf an Deine Schulter zu legen. Ich habe ganz entsetzliche Sehnsucht nach Dir, nach Hause, nach Dorotheechen.

Ich bin die letzten Tage richtig müde geworden, müde am Krieg. Und dabei hätte ich doch Grund, froh zu sein. Wäre ich in Italien geblieben, wäre ich jetzt vielleicht . . . ! Nun, solche Stimmungen halten bei mir ja nicht lang.

Gestern war ich beim Arzt. Ich bekomme Weißbrot. Aber nicht daß Du denkst, ich hätte es wieder schlimm mit dem Magen! Nur so, ich bekomme eben Weißbrot. Dazu habe ich mir ein halbes Pfund Butter zu 20.- Mark gekauft, so daß ich wieder ein paar Tage gut essen kann. Nun weiß ich nicht, ob mein Geld für das Abschiedsfest Ende nächster Woche langt.

Schicke mir daher bitte sofort nach Erhalt dieses Briefes noch mal 100 Mark, aber bitte sofort. Ich möchte nicht gerne bei einem solchen Fest zurückstehen.

Aber nun zu Deinem Brief vom 13. Juli und 16. Juli. Recht herzlichen Dank für die lieben Worte. Ich fühle mich so glücklich, wenn ich die Liebe, wenn auch nur im Brief, spüre.

Die Geschichte Deiner Krankheit langweilt mich doch nicht. Wie kannst Du nur sowas denken? Ich bin so froh, daß doch etwas an Dir gemacht wird. Und es scheint doch so, daß man Deinem Magen und auch Deinen Nerven nun endlich praktisch zu Leibe geht. Hoffentlich nützt es was.

Was den Lehrgang anbetrifft, dauert der ja nur noch bis übermorgen in acht Tagen. Die Resultate stehen schon fest. Die

Beurteilungen sind schon geschrieben. Wir erfahren aber nicht unsere Resultate. Das macht die Einheit (vielleicht), wo wir nach diesem Lehrgang hinkommen, also unser altes Batl. Ich werde nur kaum noch Bekannte antreffen. Batl.-Kdr. u. Adjutant sind in Gefangenschaft, Augenstein gefallen, mein Komp.Chef schwer verwundet, und so wird es mit den anderen auch nicht viel anders sein. Die Reste der Einheiten sind herausgezogen und ich vermute, wenn ich dort ankomme, geht die Ausbildung wieder los. Also, zufrieden Liebling? Du siehst, ich habe, wie schon so oft, Glück gehabt. Die Kommandierung nach hier war so eine Art Lebensversicherung.

Wenn Der Lehrgang geht nächsten Samstag zu Ende. Geht Von hier wird es dann wahrscheinlich nach Berlin gehen, von wo wir weitergeleitet werden. Daß ich versuchen werde, über Godesberg zu fahren, kannst Du Dir doch sicher denken. Sollte es nicht möglich sein, habe ich eben Pech gehabt. Aber schlimm wäre das. Ich darf nicht daran denken. Trotzdem muß ich mit der Möglichkeit zu 50% rechnen.

Und nun, meine liebe, gute, schöne Elsbeth! Ich drücke Dich ganz fest an mich und kuschele mich ganz in Dich. Ich halte Dich innig lieb und küsse Dich auf Deinen lieben Mund, Deine Augen, Deine Stirn. Ich küsse Dich ganz andächtig auf die schönen Knospen Deiner lieben Brust und bin immer
Dein Hannes.