Elsbeth Ließem an ihren Mann Hannes , 6. September 1944
Mittwoch, 6. September 44
Du lieber, lieber Hannes.
Heute kam Dein lieber Brief vom 24. 8. an.
Ich danke Dir sehr dafür! Er hat mir wieder etwas Mut gemacht; denn ich bin in letzter Zeit sehr mutlos geworden. Die Angst um Dich preßt mir das Herz zusammen, dazu all das andere Elend, das man täglich und stündlich hört und sieht. Die Sirenen heulen fortgesetzt, und die Menschen sind so aufgeregt und verwirrt! Es ist wie ein Wespennest, in das ein Fuß hineingetreten hat.
Wenn ich bestimmt wüßte, daß es mit Dir gut geht. Wenn ich Dich erst im Reich wüßte, bevor der Kampf im Osten wieder stärker wird, würde ich alles, was uns hier bevorstehen kann, mit mehr Mut und Zuversicht ertragen können.
Ich war heute auf der Sparkasse um Geld zu holen. Man weiß ja nicht, was geschieht und dann muß man doch etwas Geld in Händen haben. Auf der Sparkasse herrschte Hochbetrieb. Aber alle
Konten sind bis auf 300,- gesperrt. Gestern konnte man noch 1000,- haben. Heute 300,-, damit jeder etwas bekommt. In einigen Tagen will ich es wieder versuchen noch etwas zu bekommen.
Die ganze Rheinallee herunter stand eine unendliche Reihe von Flüchtlingen, die im strömenden Regen standen und noch nicht wußten, wohin? Es war ein trostloser Anblick, wie sie dastanden, frierend und naß mit kleinen Kindern und Bündelchen und Koffer. Oft in ganz dünnen Sommerkleidchen, als hätten sie keine Zeit mehr gefunden sich richtig für die Flucht anzukleiden. Das Herz dreht sich einem im Leibe herum bei diesem Anblick. Man sieht nur noch ernste Gesichter und ist jeden Augenblick zum Weinen bereit.
Tag und Nacht kommen Soldaten hierdurch auf L.K.W.‘s, Motorrädern, Fahrrädern, zu Fuß und mit Zügen. Es sieht aus wie eine heillose Flucht und doch gehen auch
wieder noch Züge mit frischen Truppen zum Westen hin. Unser Heinz ist gestern Abend zwischen 8 und ½ 9 Uhr mit dem Zuge hier durchgekommen und hat an der Plittersdorferstraße einen beschwerten Brief aus dem Zuge geworfen, in dem er kurz mitteilt, daß er auf dem Wege zum Westen sei. Der arme kleine Kerl! So haben wir nun 3 Jungens im Westen. Ob sie wohl einmal wiederkommen? – Mattes fährt seit einigen Wochen in einem Lazarettzug von Osten nach Westen, von Norden nach Süden.
Dorotheechen kann garnicht verstehen, warum die Mutti jetzt immer so traurig ist. Sie freut sich so, wenn sie all die Soldaten sieht und winkt und schreit aus Leibeskräften. In der Schule gefällt es ihr sehr.
Mutter kommt sie morgens fertig machen. Sie muß schon um ½ 9 Uhr da sein und so früh bin ich noch nichts wert. Um 10 Uhr kommt sie schon nachhause. Heute habe ich
sie abgeholt, ich mußte gleichzeitig zur Stadt. Die Kleinen, die jetzt ins zweite Schuljahr gekommen sind, also gerade das erste Schuljahr hinter sich haben, hatten sich alle am Ausgang aufgestellt und als nun die Neulinge herauskamen, schrieen sie alle im Chor: I-Dötzchen – Kaffeedötzchen, I-Dötzchen usw. Dorotheechen, die erst garnicht verstand, daß sie „angegriffen“ und „beleidigt“ wurde, schrie gleich kräftig mit, trotzdem sie garnicht wußte, was das bedeutete. Als ich es ihr dann erklärte, „schimpfte“ sie auf die bösen Kinder. Sie haben heute nur „gelernt“, stillsitzen und aufzeigen, und Dorotheechen ist ganz unzufrieden, daß sie noch keine Aufgaben aufbekommen hat. –
Nun, mein liebes, liebes Mannchen, sage ich Dir noch einmal wie unendlich lieb ich Dich habe und wie sehr ich mich nach Dir sehne.
Hoffentlich sind die schlimmsten Schmerzen und die Gefahr bald vorüber, damit Du ins Reich transportiert werden kannst. Ich denke immer an Dich und küsse Dich innig,
Deine Elsbeth.