Elsbeth Ließem an ihren Mann Hannes , 9. September 1944
Samstag, 9. September 44
Hannes, mein liebster, einziger Hannes.
Eine sorgenvolle Woche geht nun zu Ende. Was wird die folgende Woche bringen? Ach, daß sie mir doch gute Nachrichten von Dir bringen möge!
Am schlimmsten ist es, daß ich so weit von Dir weg bin, daß ich niemals richtig weiß, wie es Dir geht. Diese qualvolle Ungewißheit ist schrecklich.
Herr Schwarz hat vorgestern Abend ein „Diensttelegramm“ an Deine F.P.Nr. gesandt, mit der Bitte um Drahtnachricht wie es Dir geht. Ich hoffe, daß bald Antwort kommt, und habe doch auch wieder Angst davor. Manchmal meine ich, ich müßte verrückt werden. Der Brief von Herrn Schmutte war vom 30. 8. Heute ist der 9.9. Was kann in diesen 10 Tagen nicht alles geschehen sein!! Ich bin überhaupt nicht mehr fähig, einen anderen Gedanken zu fassen als den: wie mag es ihm gehen? Ob es schlimmer geworden ist? usw. –
Ich würde Gott mein ganzes Leben dankbar sein, wenn er nur Dich wieder gesund werden läßt. Von allem, was hier sonst geschieht und was die Leute in Atem hält, merke ich kaum etwas. Meine Angst um Dich läßt keinen Platz für andere Gedanken.
Hast Du eigentlich von mir schon Post erhalten?
Dorotheechen hat nun schon eine ganze Schulwoche hinter sich, aber jeden Morgen kommt sie vor der Zeit nachhause wegen des Alarms, denn Alarm ist fast den ganzen Tag, trotzdem die Sirene nur noch bei schweren Fällen heult. Denn geschossen wird auch die übrige Zeit, ebenfalls sind fast immer Luftkämpfe und Tiefflieger da. Man kann fast nur mit Vorsicht über die Straße gehen. Unser linksrheinisches Gebiet hat augenblicklich sehr viel auszuhalten. Da habe ich immer Sorge, wenn Dorotheechen weg ist.
Die Schule beginnt regulär um ½ 9 und endet um 10 Uhr. Aber heute kam sie auch wieder schon um 9 Uhr nachhause gesaust. Der Alarm
dauerte bis Mittag. Es gab heftige Luftkämpfe und viele Bomben fielen rundum (Gestern hat sogar Dreesens Pavillon eine Bombe abbekommen). Einige Minuten nach Entwarnung gings wieder von Neuem los. Aber auch in der Zwischenzeit waren immer noch feindliche Flieger da. ––
Dorotheechen ist mit der Schule unzufrieden, weil sie noch immer keine Aufgaben aufbekommt. Lediglich haben sie jetzt gelernt, die Fenster und Bilder der Klasse zu zählen. Sie meint, das sei nicht schwer gewesen . Sonst ist sie aber begeistert von ihrer Schule. Ich bin nur froh, daß sie nächste Woche um 10 Uhr kommen muß. Dann kann ich sie selbst fortsorgen, während jetzt Mutter morgens kommt. Übernächste Woche muß sie dann wieder um ½ 9 Uhr. ––
Lieber Hannes, in Gedanken bin ich ganz bei Dir. Ich habe Dich lieb und küsse Dich innig viele, viele Male auf Deinen lieben guten Mund. Ich bin immer
Deine Elsbeth.