Oma Becker an Ihren Sohn Franz, 27. September 1944

Bad-Godesberg, den 27. Sept. 1944

Lieber Franz!

Heute muß ich Dir eine sehr traurige Nachricht geben. Hannes Ließem lebt nicht mehr. Es ist ganz schrecklich, was wir für schlimme Tage durchlebt haben und wir hatten alle so gehofft, daß wir am Ende des Krieges noch alle beisammen wären. Was das für uns und besonders für Elsbeth bedeutet, kannst Du Dir wohl denken. Elsbeth hat bald den Verstand verloren und liegt nun an Nervenzusammenbruch. Am Mittwoch, den 20. Sept. bekamen wir die Nachricht. Es war furchtbar. Ist nun schon 8 Tage her, ich kam nicht zum Schreiben. Muß meine freie Zeit zu Elsbeth u. schlafe auch da, damit sie vorderhand nicht allein ist.

Wir, Elsbeth u. ich, waren an dem Tag in Bonn gewesen. Wir hatten da einen Einmachtopf abzuholen. Wenn wir heim kamen, sah sie den Brief mit ihrer Anschrift da liegen. Das war ja etwas plötzlich und unerwartet, aber es war geschehen, ohne das man sie etwas vorbereiten konnte.

Ich hatte Dir ja geschrieben, daß Hannes operiert worden sei. Wir bekamen dann 14 Tage keine Nachricht mehr, bis der verhängnisvolle Brief kam. In diesem Brief wurde mitgeteilt, man habe Hannes am 30. August mit dem Flugzeug, es war eine Sanitäts-Ju, – nach Deutschland bringen wollen, dort sollte er noch eine Operation durchmachen, die man an der Front nicht machen konnte. Nun sei die Maschine nach dem Start von 2 russ. Jägern zum Absturz gebracht worden. Sie sei brennend abgestürzt. Hannes habe noch schwere Verbrennungen erlitten, der rechte Arm und Schulter seien verbrannt und er habe einen großen Kopfschwartenriß mitbekommen. Er sei, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, gestorben. Ist das nicht furchtbar?

 

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Und nun die Sorge um Elsbeths Zukunft. Das ist auch noch das Schlimme dabei. Mit Hannes war sie jeder Sorge enthoben. Aber die Rente wird nicht so hoch sein. Das dies auch noch passieren muß. Und man sagt sich, womit hat man so großes Leid verdient. So müssen die Besten fallen und der Ausschuß kommt zurück. Dem passiert nichts. Habe Dir den kleinen Ausschnitt aus der Zeitung beigelegt. Heinz Heinrichs, wie Elsbeth sagt, der Besten einer, mußte auch das Schicksal treffen. Hätte Dir gern einen Totenzettel beigelegt, aber wir hatten nur einen, durch Anna Ließem für Elsbeth. So ist die Welt jetzt voller Leid, aber das Leben muß weiter gelebt werden. Heute kam wieder eine Todesnachricht und zwar ist Herr Krekel, der Friseur von Papa, auf dem Flugplatz Hangelar am Dienstag Abend von einer Fliegerbombe zu Tode gekommen. Er war als Sanitäter in Hangelar. Nachmittags war er noch hier in Godesberg und Abends schon alles vorbei.

Von Josef haben wir auch noch keine Post mehr bekommen, seit dem 21. Juli. Wir wollen jetzt mal an die Einheit schreiben.

Heinz hat einmal einen Brief geschrieben aus dem Westen, wo er ist, weiß ich nicht. Fritz ist noch in Lettland. Post haben wir vor 14 Tagen noch von ihm bekommen. Wollen hoffen, daß alles gut bleibt und Ihr alle glücklich heim kommt.

Hein Streffer ist für 14 Tage in Urlaub hier. Er ist aus Frankreich bis Borken in Westfalen zurückgekommen, wo sie wieder zusammengestellt werden. Er war heute bei Elsbeth zum kondolieren.

Hubert Ließem ist heute Morgen eingetroffen, er wohnt jetzt im Schwarzwald auf Würtemberg zu. Er ist einen ganzen Tag und eine Nacht gefahren, der Zug habe stundenlang auf freier Strekke gehalten. Das Reisen ist heute eine gefährliche Sache.

Die Züge werden so viel beschossen.

Der Bunker wird jetzt viel besucht. In Godesberg liegen viele Soldaten, in der Schule, die kommen bei Alarm auch immer herein. Die Stollen sind jetzt durch. Jetzt wird noch einer in den

Horn getrieben, der kommt neben dem Ännchenheim heraus.

Und noch einer soll nach dem Friedhof zu gehen. Jeden Tag wird noch gesprengt. Die Gefangenen sind allerdings alle fort geschafft worden, weiter ins Reich. Weil die Lage jetzt so

 

 

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brenzlich ist, ist es auch besser, daß sie fort sind. Auch der Pole von Tante Lenchen ist vorige Woche fort. Er war 4 Jahre in Golzheim bei Öpens. Hast Du meinen langen Brief bekommen? Seitdem hatte ich nicht mehr geschrieben.

Ich komme zu nichts mehr. Jetzt sitze ich bei Elsbeth und mache Deinen Brief fertig. Alarm ist viel hier jetzt und schwere Angriffe auf Köln und Koblenz in dieser Woche.

Tante Lenchen schrieb, sie habe gepackt, wenn Befehl käme, müßten sie in einer Stunde das Dorf verlassen. 20 Traktoren und 50 Pferdefuhrwerke stehen bereit, um das Dorf wekzubringen. Tante Lenchen schrieb, wir brauchten uns nicht zu wundern, wenn sie eines Tages bei uns vorfahren würden. Sie sollen dann nämlich über Lechenich nach Bonn zu gebracht werden. Düren hat schon unter Artillerie Beschuß gelegen. Aber die Front scheint jetzt zu stehen. Und so wollen wir hoffen, daß eine Evakuierung nicht nötig ist.

Und nun muß ich Schluß machen, habe an Josef auch noch die traurige Mitteilung von Hannes seinem Tode zu schreiben. Es wird mir schwer, dieses immer zu schreiben und ob er es überhaupt bekommt.

Gestern kam noch ein Brief von Dir an, die No. 5 nachdem wir schon vor 14 Tagen die No. 6 bekamen. Davor haben wir 3 kurze Briefe bekommen, sodaß noch einer zurück sein müßte.

Nun wünschen wir Dir viel Glück. Hoffentlich geht alles gut und Du bleibst gesund.
Herzliche Grüße senden Dir Papa & Mutter.

Auch viele Grüße von Elsbeth.

Ich habe viel geklext, der Füller ist nicht in Ordnung, ich bitte das zu entschuldigen.

"Oma Becker" war die Großmutter von Dorothea Ließem. Sie schrieb diesen leider nicht mehr im Original erhaltenen Brief an ihren an der Front weilenden Sohn Franz.