Toni Roos an Sohn Günther, 28. Januar 1943

Magdeburg d. 28. Jan. 1943

Mein lieber Günter!

Deine Karte mit Absage für Sonntag erhalten. Große Scheiße, denn ich hatte mich gefreut Dich hier begrüßen zu können und wollte Dir mal die Schönheiten der Magdeburger Kneipen zeigen.

Gestern war ich im Cafe St. Pauli, wo man mich alten Fuhrmann gewaltig geneppt hat, aber das ging so: Als ich mich gesetzt hatte, stellte mir so ein Kuli einen Glaskrug mit einer gelben Flüssigkeit auf den Tisch. Inhalt 1 Liter. Ich in der Meinung es sei Bier, gieße mir ein, trinke und stelle fest, daß dieses Zeug Apfelwein mit Süßstoff u. Mineralwasser ist. Ich ließ den Kuli anschwirren und fragte ihn, was dies für eine Dividendengauche wäre, worauf der Kerl die Frechheit besaß mir zu erklären es sei eine „kalte Ente“ und ein anderes Getränk gäbe es in St. Pauli nicht. Gleichzeitig bat er um Zahlung von Rm 9,- für diese Saubrühe. Du kannst Dir ja nun denken, wie ich trotz guter Erziehung, losgelegt habe. Erstens habe ich dem Geschäftsführer welcher hinzukam mal klar gelegt, was eine kalte Ente ist. Zweitens habe ich seinen Betrieb einen Saupuff genannt. Einwendungen habe ich nicht geduldet. (Zustimmung von den Tischen nebenan) Dann habe ich ihm

etwas vom Schwarzen Corpo erzählt und daß es allerhöchste Zeit sei, das Personl:
6 Musiker
4 Barziegen
3 Kellner
1 Geschäftsführer
2 Gaderobefrauen
2 Klosettfrauen
1 Portier
2 Büffetiers
Sa 21 Personen einem Rüstungsbetrieb zur Verfügung zu stellen, unter Hinweis auf den Totalen Krieg, welcher solche Betriebe nicht dulden könne. Nachdem ich den ganzen Stall durcheinander gekegelt hatte, habe ich hocherhobenen Hauptes diese Stätte der Unverschämtheit und des Lasters verlassen (Gesittet verlassen, ohne dabei schmutzige Lieder zu singen) Aber ich sollte noch mehr Pech haben an diesem regnerischen Tage. Da ich Hunger verspürte lenkte ich meine Schritte zum Pschorr-Bräu. Steht da auf der Karte Muschelplatte mit versch. Salaten Rm 1,20. Also bestellt. Nach ½ Stunde erhalte ich eine große Metallschüssel, darauf sage u. schreibe
6 Muscheln und rotes, weißes u. grünes Gras, in rauhen Mengen.

Als ich dem Ober sagte, ich sei nur ein Mensch und keine Ziege, lächelte der Kerl mich an und sagte Mäh. Wenn er nicht schnell weggehüpft wäre hätte ich ihm das ganze Grasgedicht an den Kopf geschmissen.

Als ich unter Protest auch diese ungastliche Gaststätte verließ, bin ich zu allem Übel im Dunkeln noch gegen einen Kandelaber gesaust.

Ich vermisse von Dir noch die Bescheinigung des Lehrbuches von Reicher. Du schreibst nichts davon? Also mein lieber Günter schau mal zu wann Du kommen kannst. Bin aber Samstag so wie so im Cafe Magdeburger Hof.

Also Gruß, alles Gute u.
Heil Hitler!
Vater