Gustav Roos an Vater Toni, 11. Mai 1941

O. U., den 11. Mai 1941

Lieber Vater!

Es wird mal wieder höchste Zeit zu schreiben. Da man hier nicht schreiben kann, wenn man will, entschuldige das bitte. Heute nach 16 Tagen habe ich die erste Post bekommen; zwei Briefe von Mutter, einen von Jünni und ein Päckchen (höre und staune!) von der Kirchstrasse. Wenn nach einer Pause, mal endlich wieder Post eintrifft, freut man sich doch. Von Dir erwarte ich nun auch bald etwas!

Dann etwas von mir: Der Dienst ist gut auszuhalten. Täglich haben wir unseren Gelände und Exerzierdienst. Ruhig! Man bricht sich nichts ab! Nach dem Dienst wandeln wir nach einem Café. Hier gibt es noch Bohnencaffee, Schlagsahne und anständigen Kuchen. Das ist etwas für mich. Zuerst war die Unterhaltung mit den beiden Jungfrauen ziemlich schwierig. Jetzt haben wir aber herausbekommen, dass sie gut franz. sprechen. Das ist wieder typisch. Von Kameraden, die schon in Frankreich waren, kann man immer wieder hören, dass das ganze Leben hier dem franz. sehr ähn-

lich ist. An Lebensmittel zu kommen ist sehr schwierig, trotzdem sie frei sind. Geld nehmen die Leute nicht, nur Brot, und das abzuschleppen ist streng verboten. Das alles sehr teuer ist, habe ich Dir schon geschrieben, deshalb habe ich an Mutter um Geld geschrieben. Nebenbei für die 100 (bzw. 80 Günther hat sich 20 beschlagnahmt.) danke ich Dir schon im Voraus. Mutter hat sie schon abgeschickt. Ich bin hier ganz auf die Rationen der Marketenderei angewiesen. Das ist peinlich!

Wie die Gegend landschaftlich ist, kann ich Dir nicht sagen. Bisher habe ich nur Bäume gesehen. Bäume! Bäume! Riesige Wälder rings herum. Ich fühle mich nicht besonders wohl. Der Wald, dunkler Nadelwald wirkt so einengend, wie ein Gefängnis.

Bis gestern war noch richtiges Winterwetter. Kalt, Schnee, Regen – Matsch. Heute Sonne und heiss. Was gestern Matsch war ist heute Staub, ganz feiner Sand, wie Mehl.

Heute haben wir eine ganz ruhige Kugel geschoben. Einrichtung einer Offizierswohnung, d. h. wir machten eine grosse Pau-

use und nahmen ausgedehnte Sonnenbäder. Folge: Schon Sonnenbrand am ersten Tag.

Unsere Baracken sind nun eingerichtet, d. h. wir haben Betten bekommen. Alles andere ist selbstgezimmert. So wirkt unsere Bude wie ein Blockhaus aus dem wilden Westen. Nicht gemütlich, aber romantisch. Unsere Stube ist einfach grossartig belegt. Die geistige Hochfinanz hat sich von den geistigen Kleinrentnern abgesondert und sich auf Stube I. konzentriert.

Unsere Führer waren bis jetzt i. O., mit Ausnahme unseres Chefs (Typ: Schwerfel, Volksschullehrer). Aber in Kürze kommen neue. Wie mögen sie sein!?

Im grossen und ganzen ist unser Leben ziemlich primitiv. Ich beneide Euch im „goldenen Westen“. Aber es kommen wohl auch noch einmal andere Zeiten. Thema Essen: Mittags gut. Portionen knapp. Man muss sehr vorsichtig sein. Was mit uns angestellt werden soll, ist fraglich. Eine Scheisshausparole jagt die andere. Ist vielleicht alles nur ein Täuschungsmanöver? Es sieht allerdings

nicht danach aus. Der Tommy scheint jetzt wach zu werden, siehe Wehrmachtsbericht! Gerade erzählt man hier, Rudolf Hess werde vermisst. Wenn das stimmt, wäre das ein harter Schlag! Wie denkst Du Dir den Fortgang des Krieges? Es scheint jetzt erst richtig anzufangen.

Wie geht es nun Dir? Wann bist Du in Brühl? Mutter verzehrt sich schon in Sehnen. Im übrigen wäre deine Anwesenheit in Brühl auch wegen unseres Tangoboys erwünscht, der sich neuerdings nicht mehr Günther, sondern Gundikar nennt!! Da staunste!

So, nun noch was: Meine herzlichsten Glückwünsche zu Deinem 22. Hochzeitstag!

Schreib’ mir bitte bald mal wieder an die alte F.P.N. 09977 B!

Also alles Gute und herzlichste Grüße!

Heil und Sieg!