Gustav Roos an seine Eltern, 9. Dezember 1941

Russland, am 9.12.1941

Liebe Eltern!

Zur Zeit bin ich etwa 80 km weg vom „Schuss“. Ich bin seit vorgestern in einem Kriegslazarett in Kaluga. Halt! Nicht Umfallen! Ruhe! Ich bekam nämlich am 5.12. nachmittags in der Zeit von 3.00-4.00 einen verplättet! Bum!

Diagnose: Kopfstreifschuss Verletzung der Weichteile. Also nur Fleischwunde.

Wie es dazu kam, die Geschichte meines Falles vernehmt jetzo!

Es war am 4. 12.00 kam Alarm! 16.00 sollte abrücken sein. Man munkelte von Ablösung der Div. Na, 16.00 standen wir. Bis 18.00!! In einer greulichen Kälte. 34°-! Dann kam ein Marsch von 20 km aber nicht nach hinten, sondern wieder nach vorne.
1.00 bezogen wir die Stellung.

2.00 begann der Angriff. Der Mond schien taghell. Ohne ernstlichen Widerstand kamen wir vorwärts. Da meine Funklinie ausgefallen war, baute ich mit Leitung nach vorne. Aber der Vorstoss war zu schnell, wir kamen nicht mit, und so bauten wir wieder ab. In der Ausgangsstellung warteten wir dann, bis das Reservebtl. um 5.00 unserem folgte. Ihm schlossen wir uns zu 4 Mann an. Na, wir waren etwa 3 km gegangen, ahnten nichts Böses, da, auf einmal bekamen wir M-G.-Feuer. Auf die Schnauze! Die Kugeln zischten über uns hinweg. ½ Std. lagen wir im Schnee. Dann wurde es uns nun doch zu kalt. Wir 4 fassten uns ein Herz, und einige schnelle Sprünge brachten uns in eine Mulde und somit in Sicherheit. Nun mal weg! Einige 100 m nach links. Ein Strohberg! Dort wühlten wir uns mal ein und hielten

Kriegsrat. Dann gingen wir auf eigne Faust unserem Btl. nach. Gegen 10.00 kamen wir dann dort an. In einem Dorf lag es. Wir wärmten uns mal durch. Dann um 12.00 ging das Btl. wieder vor. Da die Staffel nichts zu tun hatte, blieben wir vorerst mal mit unserem Ordonnanzoffizier zurück.

Und so um 2.00 ging’s los. Zuerst eine Salve des Raketengeschützes steckte uns einige Häuser an. Dann bekamen wir Ari und Granatwerferfeuer. Dann kam wieder eine Pause. Im Dorf lagen nun noch die Ärzte, Verwundete in einem Hause mit uns, und 4 Paks.

Auf einmal gegen 15.00 M-G- und Gewehrfeuer von links. Wir raus! Die Pak fuhr auf. Und wir, die Staffel bauten uns am Hause auf. Da sehen wir auch schon die Russen springen. Ich lege an, drücke los...

Peng! Ich bekomme einen Schlag vor

den Kopf, sehe nicht nur Sterne, nein sehe, wie ganze Sonnensysteme sich in Atome auflösen.

Dann sehe ich in das entsetzte Gesicht meines Kameraden.

Ich bin dann sofort ins Haus rein gerannt und habe mich verbinden lassen. Die ganze Nacht wurde noch gekämpft. Am Morgen um 3.00 kam dann der Befehl, „alles zurückziehen!“ Und so zog denn die ganze Division zurück. Ich kam zufällig an den Anfang, während unser Btl. den Schluss machte. Beim Abzug erhielt der Schluss noch einmal Feuer. 3 Mann von unserer Staffel und der Btl.-Kommandeur wurden noch verwundet.

Ich zog dann zum Hauptverbandsplatz. Bis die Nacht um 12.00, also 12 Std musste ich warten, bis ich an die Reihe kam zum Verbinden. Am anderen Tag um 6.00 (18.00!) fuhren wir zum nächsten Feldlazarett. Alles überfüllt. Dann weiter

nach Kaluga.

Ja, in Flugblättern haben wir schon einmal gelesen: „Die Löwendivision (das sind wir nämlich) aufgerieben!“ Fritsche soll auch einmal darüber gesprochen haben. Wir konnten damals nur lächeln. Diesmal hat sie aber einen schweren Schlag bekommen. Wenig durch Tote und Verwundete, nein, was Polen, Franzosen, Tommies und Russen nicht konnten, machte „General Winter“. Alles Erfrierungen, Füße, Hände, Kinn und Nasen.

Es gibt Komp., die noch 1:2 oder 1:15 stark sind!!

Aber nun ist ja seit gestern Ruhe. Und wir können uns mal erholen. Nun noch einmal zu meiner Verwundung! Ich habe tatsächlich ein Riesenschwein gehabt. Ein Granatsplitter hat meinen Stahlhelm durchgehauen und dadurch gebremst, meine edlen Teile nur leicht beschädigen können.

Die Wunde liegt rechts an der Stirne, am Haaransatz, groß wie ein 10 Pf-Stück. Schmerzen habe ich gar keine gehabt. Ab morgen trage ich sogar keinen Verband mehr, sondern nur noch Heftpflaster!

Ja, das Lazarett! Es ist erst vor ein paar Tagen neu eingerichtet und deshalb will alles noch nicht so richtig klappen.

Scheiße ist es nur mit Weihnachten! Denn meine Päckchen gehen wahrscheinlich alle wieder um.

Ob ich nun hier bleibe weiß ich nicht. Vielleicht komme ich nach hinten, vielleicht bleibe ich noch etwas hier, am liebsten allerdings möglichst bald zurück zur Truppe, um meine Päckchen noch zu bekommen. Schreiben könnt Ihr nicht hierher, denn ehe die Briefe hier sind, bin ich bestimmt weg. Also feste weiter schreiben und schicken an
08794 A

Wenn die Päckchensperre am 24. zu Ende ist, dann fangt bitte einmal feste an zu schicken, damit ich Weihnachten nachholen kann. Mit dem Rauchen ist es katastrophal, wo der Nachschub aus der Heimat fehlt.

Im übrigen hoffe ich, dass Ihr Weihnachten gut verlebt, bzw. verlebt habt, wenn der Brief ankommt.

Nun also
alles Gute und die herzlichsten Grüsse
Euch, Jünni und allen anderen!

Heil und Sieg!