Gustav Roos an Vater Toni, 6. August 1941

Russland, am 6.8.1941

Lieber Vater!

Ja, Post von Dir scheint ja garnicht kommen zu wollen. Das wird aber wohl an den schlechten Verbindungen in Russland liegen.

Seit Sonntag, dem 3. liege ich an einem Dorf, vielleicht 6 km östlich des Dnjepr. Der Feind liegt in gleicher Entfernung im Süden und sendet ab und zu bis auf 500 m Grüsse zu uns herüber. Hier aber ... pass’ auf und staune, hier ist Friedensbetrieb. Morgens grosses Wecken, Dienst, wie in der Kaserne, Appelle in allem möglichem Zeug, abends spielt die Regimentskapelle flotte Märsche. Na, dieser Betrieb behagte mir ganz und gar nicht und so ward ich krank; ich bekam einen Darmkartharr, den ich seit 3 Tagen auf dem Revier in aller Ruhe ausheilen lasse.

Heute abend geht’s weiter, ohne Fahrzeuge, d. h. wieder Einsatz. In der Heimat denkt man bei diesem Wort an vorstürmende deutsche Truppen, rückwärts rennende Russen, an Eichenlaub und Ritterkreuze. Unsere Gefühle sind nun bedeutend anders. Ich glaube von „Stimmung“ kann

man kaum noch reden. Jeder Angriff bedeutet Kampf bis zum letzten. Der Russe wehrt sich zäh und verzweifelt. Ihn zu werfen ist keine Kleinigkeit.

Was hat der Landser nun zu sagen? Er sieht nicht, dass es weiter geht und er merkt nicht, dass er siegt. In Frankreich, Polen da wusste er, noch 300 km, dann ist Schluss! Weiter geht es nicht, da setzt das Meer oder das Gebirge die Grenze. Russland aber ist riesengross und arm. Die Strapazen und Entbehrungen haben uns körperlich ziemlich groggy gemacht, moralisch nicht; denn jeder weiss, dass er seine Pflicht zu tun hat und gehorchen muss. Aber wir sind es satt und sehnen das Ende dieser Scheisse herbei. Immer wieder kannst Du auch hören: „Mensch, gegen so was müssen wir nun kämpfen!“ Polen, Griechen und Franzosen waren wenigstens noch Menschen und meist auch faire Gegner. Aber diese Russen, Asiaten, diese Halbmenschen, Idioten und Kretins, gegen die zu kämpfen ist kein Vergnügen.

Aber trotzdem, auch das geht vorüber!! Weiterhin, unser Mittagessen ist zwar nicht gerade abwechslungsreich, aber es ist gut und reichlich. Mit den Portionen, na ja, man kann bei diesen schlechten

Verbindungswegen nicht mehr verlangen. So bekommen wir stets Schmalz, und Fleisch, Wurst, Käse, Fisch in Büchsen. Unser Brot ist unter aller Kanone. Und mit den Zigaretten ist es, wie gesagt, ganz beschissen.

Nun zur Lage. Hier am Dnjepr scheint die Stalinlinie zu beginnen. Es sind wohl wieder Kessel gebildet worden und wir werden wohl bei einem mithelfen müssen. Ich glaube aber, wenn diese Linie gebrochen ist, wird es mit der Widerstandsfähigkeit der Russen aus sein, und wir werden wieder marschieren.

So, nun, wo ich meinen Gefühlen einmal freien Lauf gelassen habe und mir mal alles vom Herzen hinunter geschimpft habe, will ich Schluss machen.

Schreib’ mir bitte mal, wie es Dir geht, wo Du bist und was Du vom Kriege denkst!!

Alles Gute und die herzlichsten Grüsse!!

Heil und Sieg!
Gustav.