Gustav Roos an Bruder Günther, 5. August 1941

Russland, am 5.8.1941

Lieber Günther!

Heute komme ich einmal wieder dazu, Dir zu schreiben. In meinem letzten Brief an Mutter sprach ich von harten Tagen, die noch kommen sollten. Die mögen ja noch kommen, aber im Augenblick - - - Ein Betrieb, nicht zu glauben. Seit Sonntag, dem 3. liegen wir also hier. Am Abend kam unser Chef und sagte, wir würden wohl einige Tage in diesem Ort liegen bleiben. Montag morgen: 6.00 wecken. 7.00 antreten. Der Major kam. Er machte Apelle, in Stiefel, Brustbeutel, Erkennungsmarke, Haarschnitt. Es wurde gebrüllt. Wie auf dem Kasernenhof. Danach begannen wir mit, höre und staune, dem Bau eines Blockhauses, Zweck: Schreibstube! Nachmittags Dienst, wie in Friedenszeiten. Dazu spielte die Regimentskapelle zackige Märsche. Um 22.00 grosser Zapfenstreich. Der ganze Betrieb ist zu toll, wenn man bedenkt, dass der Russe höchstens 7-8 km von uns entfernt im Kessel sitzt und ab und zu Grüsse bis in Kilometernähe herüber schickt. Aber ich sagte ja schon, ich bin beim zackigsten Regiment Deutschlands gelandet.

Wie man hört, geht es am 8. oder 9. dann weiter. Was dann kommt, weiss ich nicht. Mit schweren Kämpfen rechne ich kaum noch, wohl aber mit langen Märschen. Ich schätze Richtung Moskau.

Es geht mir sonst noch so gut, wie es eben in Russland möglich ist. Wir sind zuerst alle einmal müde und groggy. Das kann kein Tag Ruhe beheben. Dazu sind Wochen nötig. Ich bin jetzt zu der Ansicht gekommen, dass ich nicht nur für mein ganzes Leben genug gelaufen bin, nein, ich habe auch schon genug getan und, wenn es noch eine Gerechtigkeit gäbe, genösse ich nach dem Feldzug den wohlverdienten Ruhestand, auf Staatskosten natürlich. Nun etwas von Russland. Du weisst ja, ich wollte immer mal dorthin. Heute weiss ich gar nicht, was mich dahin zog. Ich denke, es war wohl eben dieses Etwas im Worte Russland. Man denkt an die Unendlichkeit russischer Steppen und Wälder, an dieses geheimnisvolle, wilde und zugleich wieder kindlich einfältige im Wesen des russischen Menschen, eben an dies „magische“ Russland.

Und was ist nun Russland? Ja, landschaftlich ist es manchmal grossar-

tig, diese Weite des Raumes, die Schönheit der Wälder, das alles hinterlässt einen tiefen Eindruck. Meide aber alle Orte. Diese Blockhäuser und Bretterbuden, wielange mögen sie schon stehen? Im Laufe vieler Jahre ist das Holz ganz ausgetrocknet und ganz grau geworden, die Dächer sind oft zerfallen, das Stroh, verfault, gebleicht, hat genau dieselbe schmutzig graue Farbe. Innen genau dasselbe, dreckig, speckig, stinkend und voll von Ungeziefer. Und nun der Russe. Den russischen Soldaten kennt ihr aus den Zeitungen. Da brauche ich wohl nichts hinzuzufügen. Die Bilder sprechen für sich. Kommen wir durch die Orte, dann sitzen sie da, Männlein und Weiblein, ja, sie sitzen da, mehr auch nicht, sie gucken uns an, ganz teilnamslos, man weiss nicht, freuen sie sich, dass wir kommen oder hassen sie uns. Aber das merkt man nicht. Diese stumpfen Gesichter sagen uns nichts. Die sind stur. Noch sturer als wir. Wenn Du dann noch die russischen Verkehrs“wege“ siehst, oder sie, wie wir ärmsten, noch zu Fuss abtippeln musst, dann kommt Dir Russland am Halse raus, dann hast Du für

Dein ganzes Leben genug Russland. Ich habe es!! Und meine einzige Hoffnung ist die, dass diese Scheisse bald vorüber sein möge und einmal wieder bessere Tage kommen!!

Wie es Euch geht, habe ich aus Euren Briefen erfahren. Aber von Vater habe ich erst einen Brief bekommen. Wie geht es ihm und wo ist er? Vorige Woche bekam ich einige Briefe vom Kanal zurück mit der Bemerkung „Empfänger verzogen“.

Zum Schluss bitte ich Dich kniefällig und händeringend: Schick’ mir bitte Zigaretten, Zigarettenpapier und eine Pfeife!! Lass Deine Beziehungen spielen, plündere Brühls Zigarettenläden!! Und dann schickt mir bitte ab und zu mal wieder ein paar Illustrierten!!

Nun hoffe ich, dass Du mir bald wieder schreibst und mich mit den versprochenen Problemen überschüttest!

Alles Gute und die herzlichsten Grüsse
Dir, Mutter und allen Omas, Tanten und Onkels!

Heil und Sieg!
Gustav.

 

[zu Seite 3:] Noch etwas: Benötige dringend Couverts!! Sonst ist’s mit Schreiben Essig! Ausserdem eine Kladde, da ich schon eine jetzt voll habe!!