Gustav Roos an Vater Toni, Anfang September 1939

Lieber Vater!

Deinen letzten Brief mit dem Geburtstagsgeschenk habe ich vorigen Freitag erhalten. Vielen Dank! Ich habe Montag schon einen Brief an Dich abgeschickt, weiss aber nicht, ob er angekommen ist. Denn unsere Briefe werden kontrolliert. Mit Deinem Geschenk war das so eine Sache. Ein Rentenmarkschein von 1926! Ich war sehr misstrauisch. Die andern lachten mich aus. Und so habe ich zuerst garnicht gewagt es zu wechseln. Erst als ich im Café hörte, die Regierung habe wieder Rentenmarkscheine herausgegeben, habe ich den Mut aufgebracht, mir die 5 RM wechseln zulassen, und konnte das Geld auch gut gebrauchen. Also, noch einmal vielen Dank dafür!

Mir geht es sonst soweit ganz gut, besser als bisher im Arbeitsdienst. Wir liegen hier in einem grösseren Ort der Eifel seit 14 Tagen in Bereitschaft. Seit 14 Tagen tun wir nichts mehr. In dem Saal eines Wirtshauses liegen wir und schonen uns für kommende Strapazen. Wir haben einen sehr leichten und angenehmen Dienst

So, nun möchtest Du wohl gerne wissen, wie ich hierhingekommen bin. In der Nacht vom 26.-27. Aug. hatte ich Wache. Ich hatte gerade Freiposten, d. h. ich konnte meine 2 Stunden pennen. Plötzlich werde ich am Bein von der Pritsche gerissen. Der Führer vom Dienst steht vor mir: „Sofort zum Chef! Soll sofort hierhin kommen!“ Ich schaue auf die Uhr: 0.03. In 20 Min. war der Chef da. Die Führer wurden geweckt und um 1.26 musste die ganze Abteilung raustreten. „Männer, der Mobilmachungsbefehl ist erlassen worden. Ihr seid von 1.26 an Soldaten der deutschen Wehrmacht. Macht euch fertig. Packt! Jede Minute können wir den Befehl zum Ausrücken erhalten! Bewahrt eure Ruhe! Wegtreten!“

20 Stunden später marschierten wir schon feldmarschmässig nach Overath. Ohne Pause fuhren noch bis Mitternacht Wagen, um die Bagage zu holen. 1.00 rollte unser Zug aus dem Overather Bahnhof. Ziel unbekannt!

So lagen wir nun in den Güterwagen. Trotzdem wir wie die Heringe auf harten Bänken lagen, schliefen wir bald vor Müdigkeit ein, nur ab und zu durch einen schrillen Pfiff der Lokomotive

oder einen plötzliches Rucken des Zuges aus dem Schlafe gerissen.

Um 8.00 morgens fuhren wir in den Bestimmungsbahnhof ein. Nach 2stündigem Marsch erreichten wir unser Quartier. Hier, bei Privatleuten einquartiert schoben wir eine ganz ruhige Kugel. Schliefen bis in den Tag hinein, frassen und taten sonst nichts, als Nachrichten hören. Eine Woche lang dauerte dieser herrliche Zustand der Ruhe. Vorigen Sonntag bekamen wir den Befehl zum Ausmarsch aus dem Kaff in ein grösseres Dorf. Hier liegen wir nun schon wieder eine Woche lang.

Am Montag sollen wir nun mit unserer Arbeit beginnen. Aber gerade hören wir am Radio die Nachricht: „Um 17.15 rückten unsere Panzertruppen in Warschau ein. Das Gros steht noch 20 km von der polnischen Hauptstadt entfernt.“ Hoffen wir nun, dass, wenn England und Frankreich sich ruhig verhalten, bald wieder alles in Ordnung geht.

Schreib’ mir bitte sobald wie möglich wieder!

Ich muss jetzt in die Falle und mache nun deshalb Schluss.

Schick’ den Brief bitte auch sofort nach Mutter! Zur Beruhigung, du weisst ja.

Also, die herzlichsten Grüsse von der Front sendet Dir, Mutter und Günther!
Gustav.

Meine Adresse vorläufig nur:

Soldat
Gustav Ross
Feldpostsammelstelle
Frankfurt a./Main
Feldpostnummer 01041