Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 18. Oktober 1941

Russland, am 18.10.1941

Liebe Mutter!

Zuerst einmal meine herzlichsten Grüsse und Glückwünsche zu Deinem Geburtstag! Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe, dass wir im nächsten Jahr wieder zusammen feiern können!

Post habe ich nun seit 8 Tagen nicht mehr erhalten, weil der V-Tross nicht rankam. Zurzeit sind die Wegeverhältnisse wieder sehr schlecht, es hat etwa 5 cm hoch geschneit, es friert, dass es kracht und bei den vielen Kolonnen, die in Bewegung sind, ist jede Strasse zu einer Eisbahn geworden. Dadurch sassen auch wir gestern und heute fest und hatten „Ruhe“tag. Gerstern waren wir so beschäftigt, dass wir kaum Zeit zum Essen hatten. Heute ist es schon etwas ruhiger geworden.

Morgen werden wir wieder weitermarschieren. Wohin? Das ist unbekannt. Jetzt liegen wir kurz vor Schistra.

Eine Kälte herrscht hier schon, die man nur mit „sibirisch“ bezeichnen kann. Tagsüber schwankt es so zwischen

-5° und 8°, und sowas schon im Oktober!

Nebenbei kann ich nun melden, dass ich nun auch verlaust bin. Alle haben wir nun Läuse. Es kribbelt und krabbelt und juckt fürchterlich. In der freien Zeit sitzen wir dann da und lausen uns und machen immer reiche Beute. Das bleibt ja auch nicht aus: immer Dreck, alle 8 Tage einmal Waschen, immer in den Klamotten, das gehört nun mal zu Russland. Überhaupt, wenn man bedenkt, wie anspruchslos und primitiv wir geworden sind; zu Hause, was braucht man alles zum Leben, wir kommen seit 4 Wochen nur mit dem bisschen aus, was wir im Brotbeutel tragen. Stumpf sind wir geworden, ja, wirklich „graue Soldaten im Schein der Granaten haben das Lachen verlernt“. Wenn ich an Garbatka denke, was haben wir da gelacht am Tag. Heute reicht es bei den meisten kaum zu einem kümmerlichen Grinsen, bei mir nicht, ich kann noch lachen und hoffe auch, es nicht zu verlernen.

Freuen tun wir uns dann, wenn Post kommt und wenn das Essen gut ist. Und das war die letzte Zeit tadellos. So haben wir diese Woche zweimal Schweinebraten, Salzkartoffel und Gemüse gehabt, die letzten Tage, weil das Brot knapp ist, abends und morgens auch noch Suppe. Das lässt man sich gefallen. 3 mal hatten wir die Woche Tee mit einem guten Schuss Schnaps drin. So ein heisser „Seelentröster“ vor dem Schlafengehen tut immer gut.

Der Kessel um Briansk, an dem wir ohne es zu wissen auch mitgewirkt haben, ist wohl erledigt. Auf unserem Marsch in den letzten Tagen, der am Rande des Kessels vorbeiführte, sahen wir diese riesig grossen braunen Züge, die man aus den Wäldern brachte, verfroren, ausgehungert, mutlos und elend, nein, haben alle keine Lust mehr zum Krieg. Ihre Offiziere und Kommissare sind im letzten Moment noch aus der Mausefalle gerettet.

Heute liegen wir in einer Schule auf Heu und auf Stroh. Es ist gut geheizt. Das

schon viel wert.

Nun noch einmal alles Gute zum Geburtstag!!
und die herzlichsten Grüsse!!

Heil und Sieg!
Gustav.