Günther Roos an Mutter Elisabeth, 23. Juli 1942

Kamperfehn, den 23.7.42

Liebe Mutter!

Das Mittagessen ist vorüber. Gerade habe ich mir eine Zigarette angesteckt und will Dir jetzt schreiben. Heute Morgen erhielt ich ein Päckchen von Dir mit Zeitungen, Plätzchen, Zigaretten und Schokolade. Herzlichsten Dank. Denke aber bitte noch an Brustbeutel, Fußpuder und Schmirgel. Fußpuder habe ich nun sehr nötig. Gestern sind wir zu erstenmal aus unserer Stube herausgekommen. Haben einen Marsch ins Nachbardorf gemacht. Das sind 12 km. Haben sie in 1 1/2 Stunden gelaufen. Der Marsch war sehr schön. Wir sahen hier einmal etwas von dem Land. Links der Straße lag der Küstenkanal, dahinter Wiesen mit herrlichen Kühen drauf. Rechts die typischen windzerzausten Birken, und dann das endlose Moor. In Friesoythe sind wir geröntgt worden. Alles ohne Befund.

„Herz, Lunge, Niere ein Matsch, sonst kerngesund.“ Dann kam der Rückmarsch. Zu 12 Mann gingen wir mit dem Obervormann alleine durchs Moor zurück. Ich glaube, diesen Rückmarsch werde ich nie vergessen. Es regnete in Strömen. Im Gänsemarsch zogen wir. Um uns die endlose Weite. Bis zum Horizont war nichts- nur Moor. Und dann diese Stille. Man hörte nur das Knarren der Stiefel und das Heulen des Windes. Unter Moor habe ich mir nun auch etwas ganz anderes vorgestellt.

Hier ist es eine schier unendliche schwarz - braune Ebene. Hier und da blüht rot ein Erikabüschel. In riesigen Abständen steht eine verkrüppelte Birke oder ein zerfetzter Wacholderstrauch. Ein schönes, schwermütiges Land. Seit ich hier bin, ist es ein Wetter, wie ich es noch nie im Juli erlebt habe. Den ganzen Tag Regenschauer und Sturm. Dabei ist es saukalt. Ich habe an

Unterhemd, Unterhose, Turnhose, Pullover und die dicke Uniform. Trotzdem friere ich noch. Man sollte kaum glauben, daß man im Hochsommer ist.

Wie wir von dem Marsch zurückkommen, haben wir zuerst gegessen. ES gab neue Kartoffeln, Kalbsbraten und Tomatensalat. Ich kann Dir nur sagen, daß ich an der letzten Kartoffel würgen musste, so reichlich war es. Dann habe ich bangen Herzens die Stiefel ausgezogen. Ein Bild des Grauens. Das ganze war ein Fleischmatsch. Unter dem Ballen je 2 große Blasen. Am linken Fuß hatte sich eine Wunde entzündet und eitert. Bisher habe ich mich aber noch nicht krank gemeldet, denn ich meine, einmal muß man doch mal was aushalten können. Besser lerne ich es schon hier als erst beim Kommis. Sonst kann man das Leben noch gut aushalten. Leider

hört unsere Isolierung am Samstag auf und damit auch das allzu gemütliche Leben. Sorgen brauchst Du Dir aber um mich nicht zu machen, denn noch gefällt mir hier der Dienst und macht mir Spaß. 2 Wochen von 12 habe ich ja jetzt auch schon herum. Was mit uns geschieht, steht noch nicht fest. Nach Rußland kommen wir aber nicht. Entweder bleiben wir hier, oder kommen in den Ernteeinsatz. So, jetzt will ich aber langsam Schluß machen und mich etwas hinlegen. Nochmals vielen Dank für die geschickten Sachen. Denke aber bitte an Brustbeutel und Fußpuder.

Viele Grüße an die Omas, Tanten und Onkels und vor allen an Dich

Heil und Sieg
Günther