Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 1. Juni 1941

O. U., den 1. Juni 1941

Liebe Mutter!

Heute endlich komme ich einmal dazu Dir zu schreiben. Wie gesagt, sind wir Freitag vor 8 Tagen abmarschiert. Morgens ging’s los. Durch glühende Hitze. 30 km als Anfang. Von da an jede Nacht marschiert. Strecken bis 45 km. Morgens gegen 4.00 kamen wir an unserem Endziel an. Bis Mittag pennten wir in unseren Zelten. Dann Dienst: Zeugdienst und Waffenreinigen. Weiter! Das soll über den Marsch genügen! Eins nur: Ich habe gemerkt, was es heißt, Infantrist zu sein. Heute erst kann ich verstehen, was unsere Soldaten in Polen und im Westen geleistet haben. Um das zu begreifen, muß man es selbst mitmachen. Marschieren, marschieren!! Und dann noch hundemüde mit der Nase in den Dreck!

Donnerstag gelangten wir dann in unserem Bestimmungsort an. Hundemüde pennten wir erst einmal. Dann begann wieder der Dienst.

Ja, den Marsch habe ich ganz mitgemacht. Trotz zweier Blasen. Freitag beging ich nun

nun einen großen Fehler: Ich ging zum Arzt. Das hätte ich nicht tun dürfen; denn der kam mit der Schere und zerfleischte, verstümmelte meinen Fuß auf’s gräßlichste. Über die blutigen Fetzen, die Überreste meines vorher fast schön zu nennenden Senkfußes, liess er langsam Tropfen für Tropfen eine Literflasche Jod in sadistischer Lust auslaufen. Mit einem geradezu satanischen Grinsen sah er zu, wie ich mich in den höllischen Qualen wand. Jetzt liege ich nun in meinem Quartier und warte darauf, dass sich die Fetzen blutigen Fleisches wieder zu einem einigermaßen zu benutzenden Fuß formen.

Unser letztes Quartier war eine Luxuswohnung gegen das jetzige. In einem kleinen Kaff liegen wir. Ein „Zimmer“ eines Bauern„hauses“ (!) „bewohnen“ 24 Mann. Auf dem Boden sind reizvoll 10 oder 20 Strohhalme verteilt und darauf schlafen wir. Morgens rollen wir uns gegenseitig rund; denn in der Nacht hat man sich eckig gelegen. Wir Leute von der I.N.E.K. sind wieder zusammen. Da wir keine Geräte haben, wurden wir als Melder den Zügen zugeteilt.

Unsere schönen Uniformen sind nicht wieder zu erkennen. Die Stiefel sind durch. Und

die Unterwäsche!! Die hättest Du sehn müssen! Wenn nämlich die Sonne scheint wandert der polnische Acker. Er wird zu feinstem Staub, legt über jeden Gegenstand eine dicke Tarnkruste, dringt durch alles!

Nun etwas über Land und Leute. Wir sind in einem großen Sumpfgebiet. Soweit das Auge reicht nur Ebene. Steinhäuser gibt’s nicht, nur richtige aus schweren Stämmen errichtete Blockhäuser, mit Stroh und Moos gedeckt.

Kaufen kann man hier nur etwas Milch. 1 l = 50 Pf. Eier und alles andere wollen die Mistbauern nur gegen Brot oder Tabak abgeben. Das haben wir natürlich selbst nötig.

Nun einige Quittungen: [?] Päckchen (während des Marsches erhielt ich No. 5 +6) dankend erhalten!!

Hast Du auch meine Photos bekommen? Hierdrin wieder neue!

Noch eine Bitte!!

Dringend benötige ich eine Badehose und Hausschuhe, die ganz primitiv sein können nicht die guten aus Leder. Vielleicht Latschen oder sehr praktisch sind auch diese.

Je eher, je besser!
Auslagen kann ich ersetzen!!! Bäh!!

3. 2 kleine Zeichenblöcke, 6 Farbstifte. W. Bleistift.

So, nun mal wieder finis!

Günther schreibe ich jetzt auch sofort zum Geburtstag!!

Schreibt Ihr mir auch bitte bald wieder!

Auch meine Verwandten, bes. Onkel Jupp,. könnten mir auch ab und zu einmal schreiben. Kann Onkel Jupp eigentlich schreiben? Bis jetzt hat mir nämlich immer Tante Lina geschrieben. Ich kann im Augenblick wirklich nicht soviel schreiben. Aber Ihr habt doch verdammt alle Zeit! Ihr habt Feierabend und Sonntag. Ihr habt gemütliche Zimmer mit Tischen und Stühlen.

So, nun alles Gute und die herzlichsten Grüße an Dich, Jünni und die Omas
Gustav

Schicke den Brief bitte sofort an Vater weiter!
Photos hat er!