Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 8. Juli 1941

Auf dem Vormarsch, d. 8.7.1941

Liebe Mutter!

Du wirst es wohl verstehen, wenn Briefe von mir Raritäten geworden sind. C’est la guerre!

Es interessiert Dich wohl, was mit mir so im Augenblick geschieht. Wir marschieren und marschieren, täglich 40, 50, ja sogar schon zwei Mal 70 km. Also Leistungen, grosse sogar, das wirst Du wohl auch aus den Frontberichten wissen. Als Hilfestellung für ein Regt., bei dem die Kosaken durchgebrochen waren, wirkten wir Dienstag vor acht Tagen. Der Anmarschweg von Rozana, wo wir lagen, 12 km, war wohl das schrecklichste, was man sich denken kann. Kolonnen der Russen waren von unserer Artillerie, Flak und Pak eingeholt und direkt beschossen worden. Die ganze Strasse voll von zerschossenen Wagen, Inhalt wahllos zerstreut, ausgebrannte Tanks, Tote, zum Platzen aufgequollene Tierkadaver am Strassenrand Trümmer von Dörfern, dann das schrecklichste hunderte tote Russen, zerschossen, zu Skeletten verbrannt, furchtbar stinkend, oft in Haufen auf einander. Wenn man diesen Weg gegangen ist, weiss man was Krieg bedeutet und weiss was „Heldentod“ ist!

Samstag abend kamen wir todmüde in einem kleinen Kaff bei Baranovice an, da heisst es: „Sachen packen! Versetzung!“ In der Nacht noch wurden wir auf L.K.W.’s verladen. Heute nun bin ich endlich Funker im Bataillonsstab. Das Rgt. dem ich nun angehöre ist berühmt (od. berüchtigt!) das strammste und beste aller deut-

schen Inf. Rgt. zu sein. Leichter als bisher habe ich es hier auch nicht. Marschieren muss ich auch. Den heutigen Tagesverlauf: Gestern kamen wir 18.00 am Zielort an. Waffen- und Zeugdienst bis 19.30, Zapfenstreich 21.00. 22.00-23.00 Wache. 2.00 Wecken, 3.00 Abmarsch. 12.00 heute mittag hatten wir unsere 40 km hinter uns. Essen, Zeltbau, Waffen- u. Zeugdienst, Waschen. Als ich zu Abend gegessen hatte, waren es 19.00. Nun schreibe ich Dir und Vater. 9.00 geht’s wieder pennen. 0.00 ist Wecken. Wenn ich wieder Wache habe, kann ich 2 Std. schlafen. Die Märsche sind, gerade um Mittag, eine Qual. Dann fängt einer an von Bier zu reden, ein anderer überlegt, was er um diese Zeit zu Hause machte, bes. Samstags hab’ ich immer dr Möb, wenn ich an Hause denke!!

Na, alles geht vorbei, auch dieser Feldzug!! Und dann wird wieder alles so sein, wie es früher war!!!!! Vorläufig aber heisst es noch marschieren. Seit dem 22. haben wir nun 600 km! Stell’ Dir das mal vor! Bis Hannover und wieder zurück nach Kölle getippelt. Sonst alles noch i. O.! Verpflegung gut! Wenn möglich, schick’ mir bitte meine Turnschuhe! Und Zigaretten!!! wenn’s geht auch mal was süsses!!

Nun also für heute alles Gute und viele Grüsse an Dich, Günther und die Omas!

Schick’ den Brief bitte sofort an Vater!

Heil und Sieg!
Gustav

Soldat G.R.
08794 A