Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 6. Juni 1941

O. U., den 6.6.1941

Liebe Mutter!

Ich sehe mich gezwungen, noch einmal zu schreiben. Mein Kummer, mein übergroßer Schmerz zwingt mich dazu: Mein Fuß! Ich sprach in meinem letzten Brief schon davon. Gestern war ich nun wieder beim Arzt. Mein kleiner Zeh, ein besonders blutiger Fetzen! „Der Nagel muß raus!“ sprach der Arzt und ich erblaßte. Er nahm eine Pinzette, wühlte im Fleisch herum und nach längere Zeit bekam er den Nagel zu faßen. Er zog, ich schrie. Da sah er ein: „Der Fuß muß betäubt werden!“ Er nahm eine Viehspritze, stach mehrere Male quer durch den Fuß, bis ich nichts mehr spürte. Was dann geschah, weiß ich nicht, da ich mein Auge abwendete. Ein schwerer Verband kam um den Fuß und nun hüpfte ich vondannen. Da der Fuß betäubt war, hatte ich keine Schmerzen. Aber am Nachmittag! Ich hätte mit Wonne diesem Metzger die Kehle umdrehen [wollen]!! Es war entsetzlich!! Nun noch etwas genau so schönes: Nimm es mit Humor auf, genauso wie wir, Polen ohne das wäre ja nicht Polen! In den letzten Tagen juckte es uns, sehr, mehr noch als sonst. Gestern bestätigten sich nun unsere Erwartungen: Wir zerquetschten die ersten Flöhe und Wanzen. Weißt Du, so zwischen zwei Nägeln. Ha, das knackt und spritzt so schön! Bei dieser Tätigkeit erwachen im Menschen Urinstinkte.

Ähnliche Gefühle mag ein Lustmörder haben: Der Mund verzerrt sich zu einem Grinsen, die Augen glänzen fiebrig, die Pupillen werden größer in krankhafter Spannung – ein Knacks! Der Rachedurst ist gestillt! Auf zu einem neuen!

So, das wäre einmal wieder das neuste! Ein neuer Brief folgt in Kürze!

Nochmal alles Gute und viele Grüße!
Gustav.

Noch etwas: Bestätige dankend den Empfang von 40 Sloty! Kamen gestern an! Das entsetzliche ist, im Augenblick kann ich sie mit dem besten Willen nicht auf den Kopf hauen. Heute haben wir den 6. und ich habe meine letzte Löhnung noch nicht angebrochen, im Gegentum, von der vorletzten besitze ich noch einige Sloty! Ein furchtbare Zustand!