Gustav Roos an Vater Toni, 19. Juli 1942

Russland, am 19. Juli 1942.

Lieber Vater!

Lange genug habe ich schon nichts mehr von Dir gehört. Trotzdem bin ich aber nicht so gehässig wie Du, dass ich sage: „Aus alter Gewohnheit schreibe ich wieder!

An der Gesamtlage in unserem Frontabschnitt hat sich noch nicht geändert; wir halten eisern die Stellung. Und auch am Sonntag haben wir sie nicht durch gelassen. Trotzdem ... na, gehen wir der Reihe nach! Es fing am 12. Juni morgens um 4.00 an mit Granatwerfer, es fielen ein die Ratsch-Bumm, die leichte und schwere Artillerie. Man konnte die einzelnen Detonationen nicht mehr unterscheiden. Ein Wummern und Krachen! Wie ich Dir schon schrieb, bin ich zur Zeit als Fernsprecher bei der 1. Kmp. Ich konnte also noch gerade aufnehmen: „Russe greift an“, noch durchgeben „Alarm! Alles in Stellung!!“ Dann waren meine sämtlichen Strippen gestört. Das hiess: Raus und flicken!! Ich bin in dem Feuer gerannt, gesprungen, ich werde das nie vergessen! Die Strippe in der Hand. Ssssss – bumm! Einschlag! Hingeworfen, an den Boden geschmissen. Schon surren und orgeln die Splitter über mich weg und bohren sich mit einem müden Klatsch in den Boden. Prasselnd schlagen die hochgeschleuderten Dreckklumpen auf – aus! Weiter! Einschlag! Wieder hingerotzt! M.G’s streuen das Gelände ab. Zischen sausen sie vorbei, ein Querschläger heult und verschwindet wimmernd. Dann Leitung flicken! Bis 10.00, solange hielt das dollste Feuer an, bin ich ununterbrochen hin und hergerannt, um die 700 m lange Leitung zum Btl. in Ordnung zu bringen. Es kam ein Mann als Verstärkung zu mir. Wir arbeiteten zusammen. Wir suchten die auseinandergesprengten Stückchen Draht zusammen, flickten sie aneinander und legten einen Teil der Leitung neu. Wir stehen etwa 5 m auseinander. Da schlägt mitten zwischen uns ein Granatwerfer ein. Ich höre das Heransausen, werfe mich hin, spüre den Luftdruck und – bin noch heil. Mein Kamerad auch. Weiter! Geflickt! Um 12.00 hörte das Feuer dann fast ganz auf. Bis 3.00 haben wir 4 Leitungen in Ordnung gebracht. Das andere mussten wir, wenn wir uns nicht abknallen lassen wollten, in der Nacht machen. In den ersten zwo Std. von 4.00-6.00 wurden im Abschnitt der 1. Kmp. 1500 Einschläge gezählt. Es war das schlimmste Artilleriefeuer, das ich im ganzen Feldzug mitgemacht habe.

Der Angriff wurde zurückgeschlagen. Seitdem ist der Russe wieder genau so ruhig wie vorher. Na, und mir geht es auch wieder gut. Seitdem habe ich keine Störung mehr gehabt und meine ganze Arbeit besteht aus essen, lesen, schreiben, zeichnen, schlafen.

Mit der Post ist es einmal gerade wieder beschissen. Seit 3 Wochen habe ich keine Post mehr von Brühl. Auch von Günther habe ich noch nichts gehört. Ich bin mal gespannt, wie es ihm beim R.A.D. gefällt.

Wie geht es Dir? Du magerst wieder zum Skelett ab, nicht?! Weisst Du, wenn Du das erzählst, denke ich immer an den Dornbusch in der Bibel: „er brannte, aber verbrannte nicht!“ Und sonst wird bei Dir ja noch alles beim alten sein! Dann noch etwas, was Dich interessieren wird: Es wäre möglich, dass ich Ende dieses Jahres auf Urlaub käme, natürlich nur, wenn nichts dazwischen kommt. Also richte Dich schon danach ein, dass Du dann auch nach Hause kommen kannst! Im übrigen rechnet man bei uns stark damit, dass unsere Einheit hier hinauskommt und in den Westen verlegt wird! Das wäre natürlich zu schön um wahr zu sein. Aber wollen wir mal hoffen, dass es wahr wird!! Wir hätten es bestimmt verdient.

Und nun will ich einmal wieder Schluss machen! Ich warte auf Antwort!!

Alles Gute und die herzlichsten Grüße
sendet Dir
Gustav