Gustav Roos an seine Eltern, 3. Januar 1942

Radom, am 3.1.1942

Liebe Eltern!

Hoffentlich seid Ihr gut ins neue Jahr gekommen! Ich bin ins neue Jahr diesmal hinüber geschlummert. Und das kam so: Silvester nachmittag war grosser Tam-tam im Lazarett, Musik, Partei, B.D.M. und der Gouverneur kamen. Jeder Soldat bekam eine viertel l-Flasche Likör und 20 Zigaretten.

Ich ging nun an die Ausgestaltung meines Silvesters, besah mir kritisch den viertel Liter Likör und schüttelte, im Hinblick auf früher genossene Alkoholmengen mein Haupt. Dann begab ich mich zur Kantine. Nach langem Handeln erstand

ich hier einen Liter Rum und ergänzte meinen Zigarettenvorrat.

Das Abendessen war vorüber. Danach brachte die Schwester einen Punsch, aus Arak. Na , ich tat noch einen ordentlichen Schuss Rum dazu. Als das gekippt war, holte ich mir heissen Tee mit viel Rum.

Schluss des offiziellen Teils! Es war 9.00 und das Licht musste gelöscht werden. Meine Stubenkameraden gingen ins Nebenzimmer, denn dort war schon Stimmung. Ich zündete eine Kerze an und schrieb. Zuerst Tagebuch. Ich rauchte und trank Likör, Rum und umgekehrt. Um 10.00 gab es für mich keine Pro-

bleme mehr. Was unseren Philosophen jahrhunderte lang verborgen geblieben war, mir machte es keine Schwierigkeiten mehr. Aus Freude darüber trank ich die Likörflasche ganz leer. Die Folge davon war wieder, dass ich von der Philosophie zur Sentimentalität wechselte. Ich vergoss heisse Tränen über mich und mein hartes Schicksal und schrieb einen Brief an Euch. (Ein Glück, dass er nicht fertig wurde!) Kurz vor 11.00 verliessen mich alle Gedanken, ich legte mich aufs Bett, um meine Gedanken zu sammeln.

Um 00.00 erwachte ich dann als die Kameraden Bierflaschen schwingenderweise und „Prosit Neujahr“ gröhlend über mich herfielen. Kurz erinnere ich mich meiner

humanistischen Bildung, zitierte einen bekannten Spruch aus dem „Götz“ und wälzte mich auf die andere Seite.

2.00 erwachte ich wieder und konnte nicht wieder einschlafen, trotzdem mein Kopf schwer wie Blei war. Ich liess mir ein Schlafmittel geben. Um 7.00 weckten mich Schwestern und Kameraden gemeinsam zum Kaffee. Ich ass etwas, legte mich wieder um – und schlief... ...schlief bis mittag. Wieder grosses Wecken! Erst als man mich von der unbedingten Notwendigkeit, dem menschlichen Körper in der Mittagszeit Nahrung zuzuführen, überzeugt hatte, richtete ich mich auf, ass, fiel um und schlief, bis abend. Am Abend

das gleiche Schauspiel. Die Nacht schlief ich durch. Ich schlief auch noch gestern, mit dem einen Unterschied, dass ich zu den Mahlzeiten selbständig wach wurde. Das also war mein Jahreswechsel.

Montag und Freitag war ich aus, beim Zahnarzt und danach bin ich so was durch Radom gegangen. Der Zahnarzt hat mir bisher 2 Zähne gezogen und einen plombiert. Die weiteren folgen!

Sonst alles O. K. Bin mit allem zufrieden. Alles heilt gut. Der Arzt sagt, mit einem der nächsten Lazarettzüge käme ich ins Altreich!!

Am 4.1.1941

Heute morgen bekam ich endlich nach 5 Wochen einmal wieder die erste Post: Briefe von Euch, Zigaretten, Blättchen, Fotos, und Zeitschriften!

Wenn man solange keine Post mehr bekommen hat, freut man sich darüber, wie der bekannte junge Hund!

Ich wusste ja nicht, ob Mutter bei der Nachricht von meiner „schweren“ Verwundung einen Schlag bekommen hatte, wusste nicht wo der „Olle“ steckte, wusste überhaupt nichts mehr. Jetzt bin ich beruhigt, da ich weiss, dass es Euch allen gut geht!

Mir geht es nicht gut!! Oh!! Der Alkohol!! Nie mehr!!!!!!! Ich habe zur Zeit den dünnsten Dünnpfiff meines Lebens! Es brodelt und prutscht in meinem Bauch wie in einem Vulkan. Der für die Abfallsprodukte bestimmte Ausgang ist wund. Es ist zum

Pipsen!! Nie wieder Alkohol!!!!

Die 4 Photos sind alle tadellos. Mutter sieht wirklich aus, wie aus dem Lyzeum entsprungen. Und Vater trägt einen Schnäuzer, auch einen Schnäuzer!! Ich trage natürlich auch noch immer einen. Meiner beginnt an der Nase und verläuft dann in edel geschwungenem Bogen, sich stetig verjüngend bis zu den Mundwinkel. Ich habe mit Erfolg einen Schnurrbarttyp gezüchtet, der die Vorzüge des Typs „Clark Gable“ und „Rudolph Forster“ in sich vereinigt. Na, Ihr werdet ja sehen!!

Günther scheint sich den Fotos nach gewaltig geändert zu haben. Er scheint verdammt älter und ernster geworden zu sein (wenigstens auf dem Bild!)

Dann wieder eine Neuigkeit.

Heute abend haue ich mit einem Lazarettzug ab aus Radom.

Wohin ist unbekannt, jedenfalls ins Altreich. Ich schreibe Euch natürlich von meinem neuen Ziel sofort!

Für heute nun Schluss!!

Alles Gute und die herzlichsten Grüsse!!

Heil und Sieg!
Gustav

Nebenbei, seht mal, ob Ihr irgendwo einen anständigen Füller bekommt. Mein alter ist nämlich hin!!

G.