Günther Roos an Mutter Elisabeth, 28. November 1942

Bremen, den 28.11. 42

Meine liebe Mutter!

Vorgestern, am Donnerstag, bekam unser Stubenältester die Nachricht, daß er nach Stalingrad kommt. Abends haben wir noch gemeinsam die Stubenkasse von 120 RM versoffen, und so kam ich erst um Mitternacht dazu, Dein Namenstagspaket zu öffnen. Ich habe mich riesig darüber gefreut. Was hast Du Dir für eine Mühe gegeben! Als ich dann aber den beiliegenden Brief las, meinte ich, der Blitz schlüge neben mir ein, denn den Brief von Vater habe ich bis heute noch nicht erhalten. Was war los? Es konnte sich doch nur um Gustav handeln. Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugemacht. Am anderen Tag habe ich dann das Telegramm aufgegeben. Weißt Du nun etwas genaueres, und woher und wann hast Du die Nachricht bekommen? Nun aber eine

Bitte. Rege Dich nicht auf, denn ich habe heute die Gewißheit, daß Gustav noch lebt, und daß ich ihn wiedersehen werde. Wie ich zu diesem Bewußtsein komme, weiß ich nicht, aber es ist mir so, als habe er es mir selbst gesagt, daß er noch lebe. Also, Kopf hoch! Es ist mir auch einfach schrecklich, aber das Bewußtsein hält mich aufrecht. Nun ein Rat: Suche Zerstreuung. Immer heraus aus der engen Wohnung, und nie alleine bleiben. Ziehe zur Oma und reise zur Tante Agnes, nur bleibe nicht alleine! Und bete! Du kannst es noch. Darum bitte Gott.

Er wird Dir bestimmt helfen. Du mußt ihm nur das Vertrauen schenken u und fest daran glauben, Daß er Dir hilft und Dir Gustav wiederbringt.

Augenblicklich sitze ich in einem Hotel, denn in der Kaserne konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich mußte einmal etwas anderes sehen. Aber glaube nicht, daß ich das Leben beim Mili-

tär jetzt leid sei. Im Gegenteil, ich gehe vollkommen im Dienst auf. Ich glaube ich passe nicht mehr ins Zivilleben hinein. Würde mich am liebsten heute am Tage verpflichten, und jetzt erst recht. Ich fühle mich Gustav gegenüber verpflichtet. Er stellte sich Deutschland ganz zu Verfügung, und soll ich hinter ihm zurückstehen? Neujahr 1939-40 versprachen wir uns, immer zusammenzuhalten, komme, was mag. So wollte ich auch Architekt werden, weil er es wurde. Jetzt weiß ich aber, daß er mir nur vorlebte, Soldat zu sein. Ich warte jetzt nur noch auf die Stunde, wo er mir seine Erfahrungen und Erlebnisse erzählen kann, um mich dann endgültig zu entscheiden.

Nun will ich aber langsam schließen. Nochmals: Kopf hoch. Es wird schon alles gut werden, und nehme nicht gleich das Schlimmste an. Denke nicht zuviel nach.

„Der Unweise wacht alle Nächte,
Denkt an dies und das.
Müde ist er, wenn der Morgen kommt.
Die Sorge die selbe ist.“

Also, nochmals alles Gute und die besten Grüße

Heil und Sieg!
Günther