Gustav Roos an Vater Toni, 30. Juli 1939

Much, den 30. Juli 1939

Lieber Vater!

Dein Paket habe ich mit Dank erhalten. Es kam in letzter Minute. Du kannst Dir garnicht vorstellen, wie ich mich gefreut habe. Soviel Geld und soviel Zigaretten hatte ich lange nicht mehr gesehen. Also, nochmals vielen Dank!

Ich habe ja am Freitag zur Beerdigung von dicke Oma keinen Heimaturlaub erhalten. War unmöglich; denn beim letzten Urlaub hatten Jungen unserer Abteilung im Zug erzählt, dass der Frass so schlecht wäre. Ein Oberfeldwebel hat das mitbekommen und hat es der Gestapo übergeben. Mehr brauche ich ja nicht mehr zu erzählen. Die Folgen waren, erstens grosser Krach, zweitens das Essen ist besser geworden und drittens, der Haken beim ganzen, die Abteilung hat bis 19. August Urlaubssperre. Ausserdem, so haben wir aus bestimmter Quelle erfahren soll vom Reich aus vom 15. August bis 15. September allgemeine Urlaubssperre sein. Vielleicht kommen wir jedoch nächsten Sonntag noch mal heim; ins Lager sol-

len nämlich 150 Mann Einquartierung (S.A.) kommen. Ist aber noch unbestimmt.

Aber trotz allem: bei uns herrscht Reservestimmung. „Reserve hat Ruh“ ist so oft gesungen worden, dass es verboten worden ist. Jetzt wird es ja noch viel mehr gegröhlt.

Ich habe heute noch nicht mal Ausgang, weil ich am Dienstag krank gefeiert habe. So ist das nämlich bei uns: wer in der Woche auf Heilstube gelegen hat, kann Samstag und Sonntag nicht raus. Traurig aber wahr! Das einzige was man so allein auf der Bude in einer solchen Hitze tun kann, ist Qualmen, sonst geht man kaputt.

Gestern Abend war bei uns grosses Remmi-Demmi. Da ich so alleine war bin ich auf dolle Gedanken gekommen. Einem habe ich das Stroh aus dem Strohsack getan, und statt dessen alle Holzklumpen, die aufzutreiben waren, hineingelegt. Einem andern habe ich die Bretter unterm Strosack fortgenommen. Und wieder einem andern habe ich einen Teller Wasser unters Bettuch gestellt. Die Ernüchterung kannst Du Dir ja vorstellen, als die

so kornblumenblau in ihre Betten stiegen. Dass sie mich nicht vermöbelt haben, war alles. Sie haben mir blutige Rache geschworen. Bin mal gespannt wie sie das machen wollen.

Dann zu dem Tod von dicke Oma. Ich möchte darüber nichts schreiben, denn was ich fühle kann ich nicht zu Papier bringen.

Wie war es denn sonst in Brühl? Habt ihr wieder geschlemmt? Sekt gesoffen?

Schreib’ mir bitte so bald wie möglich und schick mir doch bitte die Quetsch. Ich habe nämlich neue Noten und dann möchten wir auch mal wieder Krach auf die Bude bekommen. Wenn Du selbst ihn noch nötig hast, so behalt ihn natürlich.

Also, bis zum nächsten Brief

die herzlichsten Grüsse

aus Klein-Cayenne