Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 21. Mai 1941

O. U., den 21.5.1941

Liebe Mutter!

Wahrscheinlich ist dieses der letzte Brief aus unserem jetzigen Unterkunftsort. Gestern erhielt ich den Brief vom 15., den Du und Vater schrieben. Das war seit dem Lazarett das erste Lebenszeichen von Vater!

So, inzwischen ist es Abend geworden. Ich kann Dir eine erfreuliche Mitteilung machen: Heute abend kamen 4 Päckchen an. Ich konnte sie nur kurz auspacken, da ich Wache habe. Eine Inhaltsbestätigung im grossen: Etwa 80 bulg. Zigaretten, 1 Döschen Käse, 10 R6, Taschentücher, Strümpfe, Uhrband, Plätzchen, eine Wurst, Speck, Butter, Schokolade und 5 Eier (wird wohl ungefähr stimmen.) Ausser 3 Eiern, ist alles noch in Ordnung! Ich habe mich mächtig gefreut, als es ankam, und habe nun wieder etwas zum Zusetzen; denn, wie gesagt unsere Portionen sind sehr dünn. Von übermorgen an gibt’s allerdings für die Dauer des Marsches eine etwas grössere Ration. Ausserdem kamen heute für unsere Kmp. 13 Kisten Apfelsinen an, das bedeutet etwa für 15 Mann eine bis zwei Kisten. Wo ich nun alles

zusammen bekomme, wird es wieder eine schwierige Sache sein, alles zu verstauen. Aber dem deutschen Soldaten ist ja nicht unmöglich! Im übrigen hat man uns I.N.E.K-Leuten einmal wieder schwer vor die Kommode gesch..., Inwiefern? Bis heute hatten wir kein Geld mehr, um ausgehen zu können. Heute mittag bekamen wir welches, da kommt plötzlich, wie der Blitz aus heitrem Himmel der Befehl „Stube I. stellt die Wache!“ Wir haben geflucht! Denn so können wir nicht mehr raus. Morgen abend wird der Ausgang gesperrt sein und übermorgen früh geht’s los. 5-10 Tage werden wir Marschieren müssen. Über polnische Wege! Gottseidank wird unser Tornister gefahren. Wir tragen nur unser Sturmgepäck. Das werden nun wieder ein paar harte Tage werden. Tippeln!! Unsere neue Unterkunft soll herrlich sein. Ein Kaff mit 42 Häusern. Pro Haus 15-10 Mann. Die Häuser sollen entsetzlich sein! Na, uns kann nichts mehr erschüttern!!

Bis 6.00 morgen früh habe ich noch Wache. Dann heissts packen!

Es tut uns nun wirklich leid, von hier weg zu müssen. Unser Lager hatten wir so fabelhaft

hergerichtet! Schwamm drüber! Was nun kommt wird nicht so schön sein!

Die Photographien wirst Du wohl schon erhalten haben. In diesem Brief sind wieder ein paar. Heb’ sie bitte auf! Vater habe ich auch schon welche geschickt.

Das 5. Päckchen wird wohl auch in Kürze ankommen. Briefe werden wohl hoffentlich auch bald wieder kommen, und die Postverzögerung wird wohl auch diesmal nicht so gross sein.

Noch einmal vielen Dank für die Päckchen. Sobald es mir auf oder nach dem Marsch möglich ist, werde ich Dir Nachricht geben.

Bis dahin alles Gute und herzlichste Grüsse!

an Dich, Jünni und die Omas!

Heil und Sieg!

Gustav

Noch ein P.S. vom 22.5. Ein fünftes Päckchen ist eingetroffen. Gesehen habe ich es noch nicht. Es liegt auf der Schreibstube. Die 5 wären also nun zusammen!

15 Apfelsinen habe ich eben bekommen. Da staunt Ihr was?

Gepackt habe ich jetzt. Morgen früh 8.00 setzen

wir uns in Marsch.

Ausserdem sollen deutsche Truppen in die Ukraine eingerückt sein. Hurrah!! Vielleicht ...?!

Na, bis demnächst!