Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 25. Juni 1940

Hannover, den 25. Juni 1940

1.00

Liebe Mutter!

Deinen Brief und die 100 Emmchen habe ich freundlich begrüsst. 2 seltene Gäste!

Leider ist mir unbekannt, ob Du den Brandbrief No. 1 oder No. 2 erhalten hast. In No. 1 war nämlich das ganze Geld abgerechnet. Legst Du nun Wert auf eine solche Abrechnung, falls Du No. 2 bekommen hast, schreib’ mir bitte sofort. Die Gebühren für die Abrechnung in zweiter Ausfertigung betragen allerdings dann 20 R6, die aber auf Wunsch bis zum nächsten Paket gestundet werden.

Dann muss ich wieder Sünden eingestehen: Gestern, Sonntag, war der „Exbummel mit Damen“. Also, ganz gross! Zuerst einmal mussten wir Freitag bei den „Damen“ Besuche machen und sie einladen. War zu schön! Sonntag um 3.30 gings los. Vom Kameradschaftshaus haben wir einen Spaziergang durch die Eilenriede gemacht und haben dann in einem Café dort Kaffee getrunken. Fliegeralarm!!! –

Hannover, den 25. Juni 1940

15.00

Gestern bin ich beim Schreiben leider durch den Fliegeralarm gestört worden. Jetzt will ich dann in der Berichterstattung vom Damenbummel fortfahren. Vom Café sind wir um 6.30 dann zum Kameradschafthaus gegangen. Auf dem eigentlichen Bummel mussten wir hellen Anzug tragen. Ich hatte die graue Hose und die weisse Jacke an. Im Kameradschafthaus

mussten wir dann dunklen Anzug anziehen, den wir morgens dahin gebracht hatten. Die Damen hatten Freskalien für sich und uns mitgebracht. Das wurde gegessen. Um 8.00 begann der Tanz. 3 grosse Räume standen uns zu Verfügung. Ein Tanzraum und 2 Aufenthaltsräume. Die Kameradschaft hatte für mich ein Akkordeon besorgt. 80 bässig. Eine Hohner, Verdi II. So I. O.! Ich habe also abwechselnd getanzt nach Schallplatten und zum Tanz gespielt. 10 Sorten Wein wurden ausgegeben. 3 Sorten Sekt und alles mögliche an Likören. Um 12.00 haben wir unsere Damen nach Hause gebracht und dann zum Kameradschafthaus zurück. Solange die Damen da waren, musste sich anständig benommen werden, musste trotz der Hitze der Rock, die Krawatte anbehalten werden, und durfte kein Bier getrunken werden. Das alles wurde nun nachgeholt: Der Rock, der Schlips weg! Die Ärmel rauf! Dann haben wir uns in den Tanzraum in einem Kreis auf den Boden gesetzt. Kasten mit Bier kamen in die Mitte und nun ging’s los. Wir haben uns in Bier ertränkt. Ich spielte Quetsch. Ein anderer Klavier. Alles gröhlte. Die leeren Bierflaschen rollten über den Boden! Dann ritt alles auf Stühlen durch den Saal. Einer fiel mit einen ganzen Tisch um. Flaschen, Gläser, Teller klirrten zu Boden. Scherben! Dann liefen wieder ein paar hinaus um sich den Kopp umzuspülen. Ein Krach! Zwei Mal war Polizei bei uns. Sahen aber bald ein, dass alles hier zwecklos war. Um 2.30 als die Stimmung auf dem Höhepunkt angelangt war, ertönte die Sirene. Fliegeralarm!! Aber sowas kann ja einen Seemann nicht erschüttern. Viel weniger uns. Bier mit runter in den Keller und dort weiter. Als dann aber der Alarm zu Ende war, waren wir auch fertig und wir wankten und tappten auf Hause zu. Am andern Morgen konntest Du Bierleichen sehn!

Der Abend hat mich 4 Rm gekostet. 1,20 im Cafe. Das andere an Wein am Abend. Das Bier wird von der Kameradschaft bezahlt. Zu Deiner Beruhigung: So einen Exbummel gibt’s nur einmal im Semester. Also keine Angst!

Ich habe nun schon 2 mal vom Fliegeralarm gesprochen. Wir haben seit etwa 14 Tagen mit Ausnahme von zwei Tagen jede Nacht Fliegeralarm. Die Flak schiesst wie toll. Die Engländer ziehn ihre Kreise hoch am Himmel und lassen keine Bombe fallen. So ähnlich, wie es auch in Brühl war, als ich vor 4 Wochen da war. Diese Ausflüge scheinen den Engländern Spass zu machen. Wir gehen natürlich mit einigen Ausnahmen immer in den Keller. Tun wir schon aus uns. 1. ist ein nettes Mädel da und zweitens steht 100 m von uns weg auf einem Dach ein Kanönchen. Und wegen dem Krach sind wir schon froh, dass wir heruntergehen dürfen.

Arbeit habe ich zum kaputtgehen! Ich komme nicht einmal dazu schwimmen zu gehen. Nicht einmal die Wochenschau kann ich mir ansehen. Aber das dauert ja auch nur noch kurze Zeit. Vater schrieb mir heute, er wolle am 12. Juli nach Hause kommen und dann bis zum 15. bleiben. Wenn ich könnte, solle ich auch dann zu Hause sein. Ich werde tun was ich kann. Das hängt ganz von den Abtestaten ab. Ihr werdet auf jeden Fall früh genug Bescheid bekommen, ob es möglich ist!

Das Wäschepaket habe ich Samstag abgeschickt. Ich hoffe, dass es jetzt angekommen ist. Ich habe nämlich dringend neue Wäsche nötig. Da ich deinen Brief Samstag noch nicht hatte, ist es diesmal noch nicht als Wertpaket abgegangen.

Dann noch was! Wir gedenken unsere Wohnung

zum 15. zu kündigen. 1. Weil wir sonst 1 ½ Monat umsonst bezahlen müssen. 2. weil wir es hier satt haben. Man hat sich hier allmählich an uns gewöhnt. Alles steht hier vor Dreck. In der ganzen Zeit, solange wir hier wohnen haben wir 3 (drei) reine Handtücher bekommen. Das Bett ist am Montag nach 9 Wochen das erste Mal abgezogen worden. Butter und Wurst haben Schwindsucht.

Fliegeralarm!!

Ich werd’ verrückt!!

Also jetzt schreibe ich die 4. Fortsetzung. Das 1. Mal gestern Nacht bis Fliegeralarm, dann heute nachmittag ein Stück. Dann habe ich bis 12.00 gearbeitet und anschliessend hieran wieder bis zum Fliegeralarm geschrieben. 4. Fortsetzung also jetzt am 26. Juni 3.25. Ich will doch endlich den Brief zu Ende bekommen. Nebenbei gerade beim Fliegeralarm war nicht los. Kein Schuss. Nichts.

Nun wieder zum Thema!

Also, Frau Damm, vergisst immer uns den Tee zu kochen. Die unmöglichsten Sachen werden auf dem Balkon aufgehängt. Ausserdem scheinen auch Nachschlüssel zu verschiedenen Schubladen zu existieren. Mein Besteck war ja, wie ich dir schon erzählt habe verschwunden. Ich habe nachgeschnüffelt und es wieder entdeckt. Absichtlich habe ich es draussen liegen gelassen, um zu sehen, was damit geschieht. 1 Woche blieb es liegen. Plötzlich wars wieder verschwunden. Mein Schmalzdöppen ist auf die gleiche Art verschwunden. Aber ich weiss ja jetzt, wo’s ist.

So, jetzt habe ich mal wieder alles erzählt. Schreib’ mir bitte bald einmal wieder.

Die herzlichsten Grüsse an Dich und die Omas