Gustav Roos an Vater Toni, 6. Juli 1942

Russland, am 6.7.1942

Lieber Vater!

Von Dir habe ich nun schon 14 Tage keine Post mehr. Ich hoffe doch, dass meine Briefe Dich erreicht haben!

Den Kursus bei der Division habe ich glücklich überstanden und bin gut erholt zum Btl. zurückgekommen. Eine Woche lang habe ich mich dann noch da gelangweilt. Am Samstag wurde ich einmal wieder zu der 1. Kmp. als Fernsprecher abgestellt. Das ist eine ruhige Sache, solange man keine Störung hat. Die Nacht über muss ich am Apparat sitzen, morgens um 9.00, 10.00 lege ich mich hin, schlafe bis 21.00[=?], bis das Essen kommt und dann wieder Wache. Meine Aufgabe ist, das Leitungsnetz Instandzuhalten. Nach hinten ist das ein Vergnügen. Nach der Seite nicht gerade. Die Leitung läuft von Stützpunkt zu Stützpunkt. Jeder davon liegt etwa 500 m vom nächsten entfernt. Eine geschlossene Grabenstellung, wie man sie vom Weltkrieg kennt gibt es ja hier

nicht. Wenn ich da nun Nachts auf Störungssuche gehe, ist das nicht gerade eine wahre Freude, trotzdem mich immer 3-4 Mann begleiten. Gleich die erste Nacht musste ich los. 3 Mal war die Leitung durchgeschnitten. 1 mal hatten die Russen sie angezapft. Das war natürlich gemein und deshalb habe ich das sofort abgestellt. Aber an der Stelle ist alles möglich. Dort zieht sich ein Wald- und Ku[?]elbestand über die H.K.L., ein Punkt an dem die Russen von der Partisanenfront im Norden nach Süden zu kommen versuchen. Ein Zeitlang ist ihnen das fabelhaft geglückt. Sie nahmen einen Balken über die Schulter. Unsere Landser dachten, es seien Pioniere und liessen sie einfach durch, bis vorige Woche einmal welche angerufen wurden, nicht antworteten und abgeknallt wurden. Jetzt ist es natürlich aus damit. Trotzdem versuchen sie immer wieder rüber zu kommen.

Die Russen kommen allmählich auf komische Kampfmethoden. Nachdem die Sache mit dem Drehbleistift schief gegangen war, dieses komische Ding explodierte nämlich, wenn man dran drehte, werfen sie nun Taschenuhren, Zigarettenetuis und Frösche mit der selben unangenehmen Eigenschaft ab. Dank unseres immer tadellos funktionierenden Nachrichtennetzen, richten die Dinger kaum Schaden an. Eine ganz gemeine Sache sind die Handtücher mit deutschem Wehrmachtsstempel, die mit ätzenden Stoffen getränkt sind, eine Sache, die dem Gaskrieg sehr nahe kommt.

Im allgemeinen ist es hier noch sehr ruhig. Davon, dass die Sache nun an einigen Stellen in Bewegung gekommen ist, kann man hier noch nichts merken. Und auch wir machen noch keine Anstalten, eine grosse Sache hier starten zu lassen.

Aber so etwas kann bekanntlich über Nacht kommen. Bei Bjelew, das wir im vorigen Oktober genommen haben, hat der Russe versucht, nach dem Muster „Charkow“, unseren angreifenden Truppen eine ähnliche Falle zu stellen. Das scheint ihm aber missglückt zu sein! Wie es einmal hier bei uns weitergeht, ist uns allen noch ein Rätsel.

Es geht mir noch sehr gut. Verpflegung und Versorgung mit Marketenderwaren lassen nichts zu wünschen übrig.

Dann habe ich Dir noch eine angenehme Mitteilung zu machen. Ich habe in einem Verordnungsblatt des Heeres folgendes gelesen:

Studenten erhalten eine Vergünstigung bei der Bezahlung ihrer Studiengelder. Und zwar wie folgt:

Bei 2 Jahren Dienstzeit, davon ½ Jahr im Krieg kommt eine Ermäßigung der gesamten Gebührenzahlung um ¼ % und

eine Unterhaltbeihilfe von 25 Rm in Frage, bei 2 ½ Jahren Dienstzeit, davon 1 Jahr im Krieg ½ der Gebühren, dazu 50 Rm, bei 3 Jahren, davon 1 ½ Jahre im Krieg 75 % der Gebühren und 75 Rm, 3 ½ Jahren, davon 2 Jahre Krieg werden sämtliche Gebühren gestrichen, dazu monatlich 100 Rm. Außerdem können Kriegsteilnehmer weitgehende Erleichterungen formeller und materieller Art bei Prüfungen gewährt werden.

Vorläufig falle ich ja noch nicht unter diese Bestimmungen, aber ab 6.12. zähle ich auch dazu.

Das sind auf jeden Fall Sachen, die sich hören lassen können. Nebenbei rechne ich in diesem Jahre zum Wintersemester einmal wieder frei zu kommen. Hoffen wir das Beste!

Noch etwas muss ich Dir mitteilen; denn das ist das erste mal: Oma hat mir selbst geschrieben! Wenn es auch nicht viel war, so habe ich mich doch sehr gefreut darüber!!

Noch einmal zurück zum Krieg mit Russland. Ich habe Dir eben von den neuen Kampfmitteln der Sowjets erzählt. Dazu kommt jetzt noch etwas: Ich bin überzeugt davon, dass die Russen im Laufe der nächsten Zeit zum chemischen Krieg übergehen. Auf unserer Seite wird fieberhaft am Gasschutz gearbeitet, und bei der Gegenseite ist es dasselbe: In dieser Nacht kam durch, dass damit zu rechnen sei, dass in den nächsten Kämpfen vom Russen Kampfstoffe angewendet würden. Das wäre natürlich eine üble Sache. Gas ist für jeden Soldaten eine unheimliche Sache. Schützt unsere Gasmaske gegen alles? Was kann alles kom-

men, wie haben die russischen Chemiker gearbeitet? Das sind die Fragen, die immer wieder gestellt werden.

Gerade bekomme ich einen Brief von Mutter, dass Günther am 8. d. J. eingezogen wird. Der Ärmste!! Aber dafür hat er ja sein Abitur in der Tasche!

Und nun, lieber Vater, wünsche ich Dir alles Gute zu Deinem Namenstag.

Gut feiern tust Du ihn ja sowieso!

Alles Gute und die herzlichsten Grüsse
sendet Dir
Dein Sohn
Gustav