Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 9. September 1941

In Russland, am 9.9.1941

Liebe Mutter!

Wie Du siehst, habe ich Deine Post vom 25.8. 3 x Briefpapier, 1 Brief und 1 x Fusspuder erhalten. Vielen Dank, besonders für das Briefpapier; denn es kam gerade wieder zur rechten Zeit. Aber, meine liebe Mutter! Fusspuder!! Wenn Du wüstest!! „Die schönen Tage sind vergangen!!“ Tjä, wir arbeiten wieder. Nicht mehr marschieren, nein, wir schüppe im Augenblick. Wir arbeiten mit Hochdruck!!

3.15 kommt der Kaffee, 4.00 beginnen wir mit unsrer Arbeit. 6.00-7.00 Kaffeepause, 7.00-11.00 Arbeit, 11.00-14.00 Mittag, 14.00-16.00 Arbeit, - 17.00 Waffenreinigen, dann kommt die Feld-

küche mit Essen, ja und um 19.00 ist es hier dunkel, es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns flachzulegen; denn bei der jämmerlichen Kerzenbeleuchtung kann man doch nichts mehr machen. Zu der Arbeit kann ich Dir nur noch sagen: Sei beruhigt, überarbeiten werde ich mich nicht. Umsonst war ich nicht im R.A.D.!

Was wir machen? Wir bauen uns ein Blockhaus!! 2 m tief in die Erde. Das ist sicher gegen Ari und schützt auch vor Kälte!! (Merkste was?!) Das gute Essen, von dem ich soviel erzählte, machen wir uns natürlich immer noch. Gestern Spanferkel und Gänse, heute nur Gänse mit Kartoffel und

Sauce! Aber wielange gibt es hier noch diese sympathischen Biester? Aus requiriertem Roggenmehl hat die Staffel heute auch 3 grosse Brote gebacken. Sind tadellos geworden. Ja, sowas muss man schon können; denn es kann einmal Winter werden. Ja, wenn die Anzeichen nicht täuschen, dann werde ich auch noch einen Winter in Russland mitmachen! Damit müssen wir leider rechnen! Ob der Feldzug noch vorher zu Ende geht? Ich weiss es nicht. Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir noch grosse Strecken marschieren!

Von Vater bekam ich gestern wieder 2 Briefe, vom 8.8. und 16.8., beide von Uman. End-

lich scheint jetzt unser Briefverkehr zu klappen!

Ja, hier sind die Nächte schon verflucht kalt. Gestern morgen lag draussen auf dem Stroh schon Eis. Prost!

Das schönste, was es hier gibt, sind die Sonnenuntergänge. Ich sitze vor unsrer Villa, und schaue nach Westen, die Sonne ist untergegangen nur einzelne Wolkenstreifen stehn am Horizont. Ich möchte Euch gern dieses Bild beschreiben, aber es ist unmöglich. Ich glaube wirklich, hier geht die Sonne schöner unter als in Deutschland!

Der Krieg ist, wie gesagt, hier ziemlich gemütlich. Bei uns

keine Kampftätigkeit, nur die Spähtrupps knallen ab und zu mal. Manchmal knallt unsre Ari ein paar Schüsse nach drüben. Um zu zeigen, dass sie auch noch da sind, setzen uns die Russen mal wieder mal wieder ein paar vor die Nase. 2 feindl. Panzer wagten sich vorgestern auch einmal bis an unsere vorgeschobenen Stellungen heran. Sobald aber die Pak zu schiessen begann, machten sie kehrt und verzogen sich. Täglich laufen Russen zu uns über. Von ihnen kann man natürlich allerlei wichtiges erfahren. Jungens von 14-15 Jahren waren darunter, auch eine Auslese der berüchtigten „Flintenweiber“ hatten wir schon hier.

Heute, wo wir mal in Ruhe liegen, kann man schon einmal über das nachdenken, was wir in dem Feldzug geleistet haben. Ich las heute einen Artikel: „Weiss die Heimat, was an der Ostfront geleistet wird?“ Der Schreiber gab aber auch keine Antwort darauf. Ich glaube, ihr könnt es nur ahnen. 1383 km! Wer mir sowas zugemutet hätte, den hätte ich verrückt erklärt. Jetzt habe ich sie hinter mir, nicht nur den Weg, dazu Durst, Hitze, Staub, Mülm, Sumpf und Kampf. Ich habe geflucht und gemeutert und auch jeder weitere km wird von Fluchen und Schimpfen begleitet sein. Ja, wir sind es alle satt! Krieg in Russland! Nein, gerne macht ihn keiner. Aber trotzdem

ich bin stolz darauf, dass ich ihn mitmache, und noch mehr darauf, dass ich alles durchgehalten habe!

Nun wollen wir mal Schluss machen! Denkt bitte an die Sachen, die ich mir gewünscht habe. Und vergesst bitte nicht die Mutz und Skizzenblöcke (20 Pf. bei Martinis!) Und sobald wie möglich auch einmal etwas selbstgebackenes (vielleicht einmal in ein paar kleinen Päckchen?) Süsses und Zigaretten sind natürlich immer willkommen!

Alles Gute und die herzlichsten Grüsse sendet Dir und den Omas und Günther
Gustav.

Noch einmal eine Aufstellung der Sachen, die auf dem Marsch verloren gingen und nun wieder notwendig sein:

Taschenmesser
Rasierapparat
Nähnadeln
Butterdose
Zusammenklappbares Essbesteck
Nagelreiniger
Kamm
Taschenspiegel
Zahnbürste und –paste
Eine Kladde

Heil und Sieg!
und
Gruss und Kuss!
Euer Gustav.