Gustav Roos an Bruder Günther, 15. Mai 1942

Russland, am 15.5.1942

Lieber Günther!

Zuerst möchte ich Dir in diesem Brief zu Deinem Geburtstag gratulieren. Das schönste Geschenk wird ja wohl die Raucherkarte sein. Ich will auch nicht so sein und opfere den 10-Tage-Lohn eines alten, preussischen Gefreiten! Ich wünsche Dir alles Gute und viel Glück für das kommende Jahr!!

Und nun will ich Dir etwas von meinen Erlebnissen der letzten 14 Tage erzählen. In R., wo wir ausgeladen wurden, traf ich unseren neuen Staffelführer. Der erzählte mir, was vorne bei uns los war. Ich vernahm und war erschüttert, mehr als erschüttert! Es erfolgte der Marsch, 120 km auf der Rollbahn gen Osten und dann war ich bei meinem alten Regiment. Ich konnte mich nun von allem selbst überzeugen und war noch erschütterter, wenn es das noch geben kann.

Die Lage ist folgende: Südlich der Rollbahn, 1-4 km von dieser Strasse entfernt, sitzt der Russe, bestrebt diesen für uns und ihn lebenswichtigen Nachschubweg und Angriffsbasis in die Hände zu bekommen. Wir halten die Stellung. Nördlich der Rollbahn haben Partisanen und Luftlandetruppen zum Teil sogar im Be-

sitz von Panzern das gleiche Bestreben. Nebenbei, landen diese „Fallschirmjäger“ ohne Fallschirm. Sie werden ohne Rücksicht auf Verluste aus dem Flugzeug geschmissen und zwar in einer Höhe von immerhin 20-30 m. Menschenleben spielen bei den Bolschewiken bekanntlich keine Rolle. Verpflegt und versorgt werden sie in der Nacht durch russische Flieger. Man wundert sich immer wieder, was der Russe immer wieder, selbst nach einem solchen Winter auf die Beine stellt. Nicht nur an Menschen, auch an Material. Seine neuen Divisionen kann er immer noch mit neuesten Ausrüstungen an die Front schicken. Über seine Artillerie kann man nur staunen. Täglich jagt er uns ein paar anständige Brocken zu, überfallt uns mit Pak und Ratsch-Bumm belästigt uns mit seinen Granatwerfern und ab und zu lässt er einmal die „Stalinorgel“, sein Do-Gerät, alle Register ziehen. Seine neue Panzerkonstruktion, ein 34-Tonner, war eine peinliche Überraschung für uns; unsere Pak prallte ab wie Knallerbsen. Und das alles, wo doch der Führer in seiner Rede im Oktober den Feldzug schon entschieden hatte, und den Zeitungen nach mit Charkow und dem Donezbecken 60 % der russischen Rüstungsindustrie in unserer Hand waren. Das scheint mir ein Versehen gewesen zu sein.

Mit seiner Luftwaffe scheint es allerdings nicht mehr weit her zu sein. Denn ausser seiner berühmten „Rollbahnkrähe“ hat er uns an Kampfflugzeugen keinen neuen Überraschungen zu bieten.

Gefangene gibt es nur noch verhältnismässig wenig. Überläufer kommen auch ganz vereinzelt. Von ihnen haben wir erfahren, dass der Russe hier auch mit ganz erheblichen Nachschubschwierigkeiten zu kämpfen hat. Seine Munition lässt er kilometerweit von der Zivilbevölkerung durch die Sümpfe schleppen. Manche Überläufer hatten 8 Tage lang keine Verpflegung bekommen. Also auch bei denen ist es beschissen.

Ende voriger Woche war ich als Funker zu einer vorgeschobenen Stellung dicht vor den Russen abgestellt. Es war stockfinster und saukalt. Am Morgen, als ich einmal, ganz vorsichtig zuerst, hinausguckte, war ich doch etwas unangenehm berührt, vor, neben, hinter dem Graben, Haufen von toten Russen, ganze und Stücke von ganzen. Ein furchtbares Bild! 2 Tage lang habe ich hier gefunkt, in einem Erdloch, in dem das Grundwasser stand. Den ersten Tag ohne Verpflegung, da man im hellen nicht herankommen konnte. Der Russe feuerte aus allen Rohren und Röhrchen, sobald er eine Bewegung wahrnahm.

Etwa 200 m vor uns lagen sie. Durch das Fernglas konnte ich sogar mit meinen scheelen Augen ganz deutlich sehn. Am 2. Tag morgens kamen Stukas, über 50 Stück, und setzten mit einem Höllenspektakel vor uns ihre Eier ab. Es war fantastisch, wie einer nach dem andern abkippte, aufheulte, die Bomben ausklinkte und dann noch im Tiefflug aus allen Rohren seiner Bordwaffen feuerte. Ein Glück nur, dass die Russen nicht so etwas haben. Ein Glück nur, dass die Russen nicht so etwas haben. Am 8. wurde vor uns eine andere Einheit eingesetzt, um dem Russen eine Höhe zu nehmen, von der er die Rollbahn einsehen konnte. Wir sind ja nicht mehr in der Lage tolle Angriffe zu machen und heilfroh, wenn uns der Russe nicht angreift. Na, bei diesem Angriff wurde eine neue Waffe auf den Punkt von uns angesetzt. Als sie gefeuert hatte, beim zusehen und besonders beim Zuhören konnte einem Angst werden, hätte man mit einer Gruppe einen Durchbruch machen können!

Na, und im übrigen geht es mir gut. Unsere Bunker sind ja ziemlich primitiv, aber das ist ja halb so wild, wo es jetzt Sommer wird. Das ist überhaupt wunderbar. Man kann sich nun waschen. Im Bunker ist es immer mit Schwierigkeiten verbunden und draussen war

es zu kalt. Nun wasche ich mich sooft ich kann, laufe so unbekleidet wie möglich umher und habe bereits einen netten Sonnenbrand.

Meine Tätigkeit? 2 Tage bin ich jeweils bei der Staffel und beschäftige mich mit Arbeiten an Bunkern oder mache Vermittlung. Die folgenden Tage gehe ich dann wieder 2 Tage zur Kmp., als Funker oder Fernsprecher. Bei der Kmp. bin ich am liebsten, d. h. wenn es nicht gerade ein vorgeschobener Posten ist. Auf dem Kmp-Gefechtsstand ist es ruhiger. Der Bunker ist tadellos. Das Essen bedeutend besser als bei uns. Und wenn man nicht allzuoft auf Störungssuche muss ist das Leben sogar ideal.

Im übrigen laufe ich gänzlich unbelastet durch die Gegend, besitze nur, was ich anhabe und Waffen. Am letzten Marschtage hatte ich mein Gepäck verladen. Kurz vor unserem Rgt. schlug ein schwerer Koffer ein. 20 Verwundete, Durcheinander, schnell wurden wir aufgeteilt. Und als ich fertig war, war mein Wagen längst über alle Berge. An Privatsachen habe ich nichts verloren, ausser meinem Zeichenmaterial. Alles andere, in der Hauptsache die Badehose mecum portarerat.

Nun habe ich mir in den letzten Tagen

wieder ein Kochgeschirr, Feldflasche, Gasmaske, Mantel und Decke zusammenorganisiert. Im übrigen werde ich feste weiter organisieren!

Sende Du mir bitte so schnell wie möglich 2 weiche, ganz weiche Zeichenstifte, Radiergummi, anständige Buntstifte und einen Skizzenblock!!!

Und nun wünsche ich Dir noch einmal alles Gute zum Geburtstag und hoffe bald einen eben so langen Brief von Dir zu erhalten!!

Heil und Sieg!
Gustav

Halloh! Halt! Noch eine Berichtigung betreffs Verpflegung!! Heute kam im Regimentsbefehl heraus, dass die Truppe vom heutigen Tage an wieder normale Verpflegung bekomme. Und so war unsere Portion für die nächsten 2 Tage: 1 ganzes Kommissbrot, etwa 80 g Butter, 120 g Dauerwurst, 120 Rindfleisch, 120 g Apfelmus, 1 halbe Tafel Schokolade (gute holländische!) 4 Zigaretten und ein Glas Cognac (echten „Hennessy“!!) Und heute mittag gab’s, höre und staune, - Puddingssuppe!!! Mit so einer Verpflegung läßt sich nun auch wieder Krieg spielen! Und nun beneidet mich!

Heil und Sieg!
Gustav.