Gustav Roos an Bruder Günther, 3. September 1942

Russland, am 3.9.1942

Lieber Günther!

Also, zuerst einmal herzlichen Dank für die vielen Briefe, die ich in der letzten Zeit erhielt. Ich kann nur staunen, und freue mich, dass Du so regelmäßig und oft schreibst! Dass ich solange nicht geantwortet habe, wirst Du wohl versehen! Wir liegen genau ostwärts Wjasma. Das sagt wohl genug. Hier ist immer etwas los. Mal links von uns, mal rechts, versucht der Russe durchzubrechen. Uns hat er die letzte Woche mit Angriffen verschont und so war es ziemlich ruhig. „Ruhig“, na ja, täglich bekommen wir doch immer unser Quantum an Granatwerfern und Artillerie vor die Nase gesetzt und auch seine M-G. schiessen ab und zu wie doll. Schön ist das zwar nicht, aber immer noch erträglich. Wie ich schon schrieb, sitze ich als Funker bei einer Kmp. Unser Bunker lag bisher hinter einem der Holzhäuser des Dorfes. Wir lebten herrlich und in Freuden – bis gestern. Und gestern war mein Geburtstag! Natürlich! Es konnte ja auch nicht anders sein. Nun die Schilderung dieses bedeutungsvollen Tages meiner Großjährigwerdung.

0.00 Uhr. Wir drei Nachrichtenmänner sitzen allein im Bunker und feiern, trinken Rotwein, rauchen gute Zigaretten und knibbeln Keks und Schokolade, das Radio spielt eine flotte Tanzmusik. Ein friedliches Idyll! Und dann kam der Kmp.-Chef mit seinen Meldern zurück. Nun ging eine ganz wüste Sauferei los. Schnaps und Rum aus Tassen. Und dann wurde gespielt, „17 und 4“. Es war das erste und letzte Mal, das ich das mit-

gemacht habe. Ich sass kaum richtig, da hatte ich schon 25,- verloren. Und dann spielte ich ganz vorsichtig, holte mein Geld in kleinen Gewinnen herein und dazu noch etwas über 10,-. Es wurde noch etwas gegessen und dann legten wir uns um zum pennen. Das war gegen 5.00.

7.00 Der Russe hat zwei Häuser am Südrand des Dorfes in Brand geschossen. Na, das ist noch ungefährlich. Also wieder umme!

14.00 Alarm! Der Brand ist nun nur noch ein Haus von uns entfernt. Wird er nun auch auf das nächste und dann auf unseres übergreifen. Gespannt sehen wir zu. Sicher ist sicher und so räumen wir unser Haus mal aus, 300 Handgranaten und etwa 8000 Schuss Inf. Munition lagen dring. Der Wind ist günstig. Es geht gut. Also essen wir mal zu mittag: Kartoffel- und Gurkensalat mit gebratener Fleischwurst und als Nachtisch Pflaumenkompott. Und dann setze ich mich vor den Bunker, bringe meine Klamotten in Ordnung und putze Stiefel; denn ich habe vor einmal zum Btl. zu gehen. Da schiesst doch wieder so ein Schwein von Russen mit Leuchtspur. Wenn das mal gut geht! Und richtig! Auf einmal ein Schrei: „Unser Haus brennt!“ Da steht aber auch schon das ganze Strohdach in Flammen. Alles raus aus dem Bunker! Klamotten, Rundfunkgerät, Funkgeräte und Feldfernsprecher raus, 40 m zurück, dann dort wieder aufgebaut und Kriegsrat gehalten. Die Lage ist sehr peinsam. Erstens kann unser Bunker Feuer fangen, zweitens aber ist mit dem Haus unsere ganze Deckung weg. Er kann dann jede Bewegung, und vor allem auch den Bunker selbst sehen. Also beginnen wir wir noch während es brennt, unseren

Bunker zu tarnen und ein Überspringen der Flamme zu verhüten. Langsam wird es dunkel. Und nun wird der Russe verrückt. Ein tolles M-G. Feuer liegt auf unserem Abschnitt. Die Essenholer müssen robben. Nach dem Essen lege ich mich gerade auf die Pritsche, „Leitungsstörung“. Weißt Du was es heißt, mitten in der Nacht los auf Störungssuche zu gehen, durch das beschissene M-G.-Feuer und dann 3 km durch russischen Urwald immer nur kurze Strecke vom Russen weg? Mit dieser schönen Beschäftigung ging dann der Tag zu Ende und ich kam endlich zu meinem wohlverdienten Schlaf!

Nun ist die Lage hier ziemlich beschissen. Mit der Bewegungsfreiheit ist es nun fast ganz aus. Aber auch sonst, wir müßen täglich mit Angriffen rechnen. Der Russe hat das günstigere Gelände, er sitzt über uns und sieht uns tadellos ein. Dazu sind wir sehr schwach und haben trotzdem ein sehr großes Gebiet zu verteidigen. Ein Trost ist es, dass wir einen netten Haufen schwerer Waffen im Rücken haben.

Sonst geht es mir natürlich ausgezeichnet. Dir gefällt es ja auch sehr gut beim R.A.D. Nur wie mir Vater schreibt, mangelt es Dir zu sehr an Moneten und Rauchwaren. Ich habe den Hilfeschrei vernommen und habe deswegen schon Mutter geschrieben und leite auch von mir persönlich eine gross angelegte Hilfsaktion in die Wege. 20,- lege ich im Brief bei. Wir werden zur Zeit mit Rauchwaren überschüttet. Ich bin zur Zeit im Besitz von einigen Hundert Zigaretten und etwa 15 Paketen Feinschnitt. Ich werde Dir also in brüderlicher Liebe gerne etwas zukommen lassen.

Von Flöns Scheuble habe ich auch Nachricht bekommen. Er war schon einmal verwundet – auch Koppschuss – und hat nun auch schon E.K. und Sturmabzeichen.

Das wäre für heute mal wieder alles!

Ich schreibe Dir in den nächsten Tagen wieder!

Für heute nun alles Gute und die herzlichsten Grüße!

Heil und Sieg!
Gustav