Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 31. Oktober 1941

Bjeleff, am 31.10.1941

Liebe Mutter!

Noch immer liege ich in dem „Städtchen“ an der Oka. Wir machen einen geregelten Dienst, wie in der Kaserne. Zu 12 Mann von der Staffel bewohnen wir ein Haus. Wir stellen ja keine Ansprüche und so sind wir mit unserem Quartier zufrieden; Ein Dach über dem Kopf, Stroh zum liegen und ein anständiger Ofen, das genügt uns vollauf. Und jetzt haben wir noch die ganze Einrichtung zur Verfügung. Bjeleff war eine Stadt von ca. 50.000 Einwohnern. Sie hat die Einnahme verhältnismässig gut überstanden. Diese Stadt nun besitzt eine einzige, saumässig gepflasterte Strasse. Alles andere ist zur Zeit Matsch. Tiefer Matsch. Wie es nun in einer solchen Stadt aussieht? Stell’ Dir eine der Städte in den Goldgebieten Nordamerikas vor, so wie Du sie aus den Wild West-Filmen kennst. Holzhäuser, zum Teil grell bemalt, und dieser Ein-

druck bleibt auch derselbe, wenn Du auf die Hauptstrasse kommst. Trotzdem hier Steinhäuser stehn.

Die „roten Bonzen“ haben die Stadt frühzeitig verlassen. Es blieben die, die eben nicht mehr zu verlieren haben, als ihr bisschen Leben. So sehen wir hier nichts anderes als das, was wir im Sowjetparadies gewohnt sind. Dreck, Elend, Unordnung, stumpfe, oder hässliche Gesichte. Du wirst es mir nicht glauben, aber auf meiner Spritztour quer durch Russland, habe ich noch keine nette Frau oder ein einigermassen aussehendes Mädchen gesehn! Die Männer, soweit sie nicht eingezogen sind, alle unrasiert, meist ganz schäbig gekleidet. „Ja, ja, die Zeiten sind schlecht, sehr schlecht, aber wir warten auf noch schlechtere!“ scheinen ihre Augen sagen zu wollen. Ich dachte in Russland würde sehr viel geraucht, aber es ist viel schlimmer als ich annahm, alles, was Mann ist, qualmt. Bengels

von 5-6! Jahren ziehen den Qualm besser durch die Lunge, als bei uns ein Abiturient. Geraucht wird nur ein entsetzlicher, grüner Tabak, gedreht in Zeitungspapier. In unserem letzten Quartier, ein grosses, „reiches“ Dorf war es, schenkte ich einem Alten, als wir abhauten, eine deutsche Zigarette. Da segnete er mich und küsste mir trotz verzweifelter Gegenwehr die Hände, bis ich an der Tür heraus war.

Das Haupternährungsmittel ist überall die Kartoffel; Mittags dampft auf dem Tisch ein Pott mit Kartoffel, dazu etwas Milch. Aus! Nebenbei schmecken ihre Kartoffel sehr gut, besonders ihre „Kullebäuschen“ und Bratkartoffel. Allerdings braten sie, das wird dir wohl unbekannt sein, keineswegs mit Fett, sondern in Wasser!! Die Wohnung auf dem Lande: Ein grosser Raum, im Mittelpunkt der Kamin, darauf, daneben, daherum schläft die Familie, dann eine Bank, ein paar Schemel,

ein Regal an der Wand, ein Tisch, das ist die Einrichtung. Hausrat besteht aus einem Eimer, das wertvollste Instrument, ein paar Pötten und Pfannen.

In der Stadt ist es schon etwas besser. Da erinnert dies alles schon schwach an Mitteleuropa.

Das ist Russland, das Land des Elends, der Hässlichkeit, der grauen Eintönigkeit. Nein, in Russland gibt es keine schöne Freude und auch nichts Erfreuliches!!

Das Wetter ist seit etwa 14 Tagen dasselbe, nämlich: Regen. Die Strassen sehen demnach aus. Unser Marsch hierher war auch danach. Täglich nur kleine Strecken 5-15 km, die sich aber über den ganzen Tag hinzogen, da die Fahrzeuge immer wieder steckenblieben, im Matsch versanken und dann mühsam wieder flott gemacht werden mussten. Post kommt seit 3 Wochen nicht mehr ran, Verpflegung seit 10 Tagen auch nicht mehr. Auf dem Marsch war

unser Essen: Hülsenfrüchte mit viel Fleisch; denn Schweine gibt es ja genug hier, und Hülsenfrüchte haben wir genug mit. Als kalte Verpflegung gab es Schweinefett, dazu eben Kartoffel, die wir uns machten oder machen liessen und organisierten Russenbrot. Hier in der Stadt nun wursten und backen wir selber.

Trotz allem geht es mir noch gut. Trotz allem bin ich noch immer satt geworden und mein Appetit wird täglich grösser. Die Quantitäten, die ich mittags an Suppe und den Tag über an Brot einschlage, sind erschreckend. Deshalb sieht man mir Russland und 1700 km Gott sei Dank noch nicht an!

So nun mach’ Dir keine Sorgen um mich!! Der Kampf ist vorüber! Kommen können nur noch Märsche und die können einen alten Landser garnicht mehr erschüttern, auch dann nicht, wenn alle Strümpfe riesengrosse Löcher haben!!!

Und nun:

Liebe Elisabeth! (oder Ölisbös wie Gundikar sich auszudrücken pflegt) die allerherzlichsten Grüsse und Glückwünsche zum Namenstag!!!!! Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe, dass unsere Wünsche bald in Erfüllung gehn werden und wir bald wieder alle zusammen sind!!

Noch einmal alles Gute
und die herzlichsten Grüsse und Küsse!!

Heil und Sieg!
Gustav

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