Toni Roos an Sohn Günther, 1. März 1943

Magdeburg den 1. März 1943.

Mein lieber Günter!

Deinen Brief von Annaberg habe ich heute mit Genuss gelesen und bewundere die Schärfe Deines Geistes. Was wirst Du heute oder morgen mal ein Musterehegatte werden, wenn Du heute schon als unbescholtener Jüngling Dir ein derart stichhaltiges Urteil über den hl. Ehestand erlaubst und nebenbei auch vertrittst.

Wie Du weisst, ist ja meiner Ansicht gemäss die Ehe ein Schmerz der Seele und ein Abscheu über die begangenen Sünden. Aber es freut mich, dass ein Vertreter meiner Sippe auch einmal (wenigstens vorläufig noch) anders denkt.

Ich bin ja nun auch bald 50 Jahre und allmählich wird man berechnender und ruhiger (ich glaube es wenigstens) und man hat so ab und zu das Bedürfnis Familiengatte zu spielen. Man fühlt eine gewisse Befriedigung darin, am häuslichen Küchenherde zu sitzen in die Kochpötte zu schauen und dem lieben Gott für die „so reichlichen Gaben“, die man selbst sich zwar sauer verdient hat, auch nachträglich noch zu danken. (Man darf zwar dem lieben Gott danken, und darf ihn auch bitten, aber ob er Dir etwas gibt, steht auf einem anderen Blatt.)

Also mein lieber Pustahengst, ich bin gerührt von Deinen guten Ratschlägen und werde mich, Deiner Anregung entsprechend bemühen ein Musterehegatte zu werden. (Chor im Hintergrunde: Es geht alles vorüber etc.)

Ich war nun zur Bestattung von Oma 3 Tage in Brühl und hatte bei dieser Gelegenheit das zweifelhafte Vergnügen einen Terrorangriff der englischen Kulturträger zu erleben. (wohlgemerkt erlebt, denn viele haben ihn nicht mehr erlebt bezw. überlebt). Wie mir die Sache zu toll wurde, bin ich mit meinem mir angetrauten Weibe in den sogenannten Luftschutzkeller gepilgert (mein Weib pilgerte schneller) und fanden daselbst schon eine erlauchte Gesellschaft vor. Die zwei alten Jungfrauen hatten sich Tücher um die Köpfe gebunden und beteten die Litanei von allen Heiligen. Das Ehepaar Schmitz mit itz am Ende war mit einer Kerze und mit dem Sterbekreuz bewaffnet und hockte auf der wackligen Bettkante wie Deliquenten die ihre Hinrichtung erwarten. Deine Mama unterhielt sich recht angeregt mit Frau Adaschkewitz (mit itz am Ende) und erteilte mir ab und zu gute Ratschläge. Herr Adaschk... usw. schwebte in höheren Regionen, kam ab und zu nach unten und sagte: Alles finihs, und dabei bummste es, dass das Haus wackelte. Also ich kann Dir sagen es war ein erhabenen Augenblick und eine Lust zu leben.

Bei jedem Bumms oder Knall zuckte die ganze Gemeinde zusammen und mit An- und Abziehen des bösen Feindes steigerte und sank in der Lautstärke das Gebet der im rechten Winkel sitzenden Hausgemeinschaft. Entre nous, es war nun wirklich kein Vergnügen dort unten zu sitzen, denn wenn ich auch in Boulogne vier Monate diesen Tam-Tam von abends 8 Uhr bis morgens 6 Uhr mitgemacht habe, so war dies doch nur eine Spielerei. Dieser Angriff soll toller gewesen sein, wie der im Mai. Von Köln steht immer weniger und wenn das so weitergeht ein halbes Jahr, steht überhaupt nichts mehr.

Ich werde Dir das erzählen, wenn ich die Ehre haben werde Dich in Deinem Reich besuchen zu dürfen. Bleibe also Deinen Brief erwartend bezügl. des Zimmers für die Nacht in Celle-Venedig.

Also alles Gute auf baldiges Wiedersehn
mit Heil Hitler!
Vater