Gustav Roos an Vater Toni, 6. August 1942

Russland, am 6.8.1942

Lieber Vater!

In der letzten Woche bekam ich zwar keine Post von Dir, trotzdem will ich – wie Du so schön sagst – aus alter Gewohnheit wieder schreiben.

Es geht mir immer noch (für russische Verhältnisse) ausgezeichnet. Wenn man 4 Monate fern von allen Segnungen der Kultur und Zivilisation im Bunker gehockt hat, sehnt man sich natürlich nach so vielem. Aber da kann man nichts gegen machen, dafür ist nun mal Krieg! Unsere Verpflegung war im Juli einmal wieder ziemlich mies. Seit dem Ersten ist sie wieder tadellos. So hatten wir, am 2., auf meinem Namenstag, morgens Waldbeerkompott und Schnaps, und am Abend gab’s süße Reissuppe mit Kirschen, und zur kalten Verpflegung 1 Tafel Schokolade, Bohnenkaffee und auf 8 Mann ein Fäßchen echten Kulmbacher „Mönchbräu“. Tadellos! Wenn die

Verpflegung so auffallend gut wird, ist das ein schlechtes Zeichen. Und damit kämen wir dann zur Lage: Während wir im Süden fabelhaft weiterkommen, im Norden in Verteidigung liegen, war es bisher im Mittelabschnitt noch ruhig. Das scheint sich nun zu ändern. Zuerst sah es so aus, als wollten wir angreifen. Wir bekamen auch am 3. unseren Marschbefehl. Aber kaum war er heraus, wurde er auch schon zurückgezogen. Und nun ist etwas los, bzw. könnte los werden. Erstens sind wir in Alarmbereitschaft und zweitens verstärkte Tätigkeit in der Luft. Am Tage knattern unsere Aufklärer durch die Luft und kein Russe läßt sich sehen. Nachts brummen die Russen und von uns ist keiner da. Gestern Nacht hatte Iwan Pech. Seine Bomber legten ihre Eier nämlich auf seine eigenen Stellungen. Diese Nacht haben sie bei uns geworfen, dass die Kerze auf dem Tisch hopste, auch Flugblätter

kamen herunter: 3 verschiedene Exemplare an uns. Das erste bringt uns ein neues Lied, in dem viel von verblichenen Knochen, verrosteten Erkennungsmarken und bösen Hitlerleuten die Rede ist. Im 2. wenden sich etliche ehem. Reichs- u. Landtagsabgeordnete an uns und an die Heimat, mit einem Aufruf, uns zu ergeben, oder wenigstens zu sabotieren. Wir hören dass „uns Hitler und seine anderen plutokratischen! Kriegsinteressenten mit ihrem Raubkrieg immer tiefer ins Verderben ziehen“. Schön, nicht?! Der 3. wendet sich nun direkt an uns. Überschrift: Zögert keinen Augenblick! Morgen ist es zu spät! Soldaten! Euer Btl. ist dem Tode geweiht. Morgen schon wird keiner von Euch mehr am Leben sein, eure Kinder verwaist, eure Frauen verwitwet“. Im folgenden malt man uns das noch näher aus. Auf der anderen Seite ein nettes Kinderfoto, eine Todesanzeige und der Spruch: Nie wird der Vater wiederkommen, Hitler hat ihm ihn

uns genommen!“ Ihre Propaganda hat sich überhaupt herausgemacht, gestern brüllte ein Lautsprecher uns mal wieder die „Wahrheit“ herüber. Kostenlos liefert man uns allmonatlich die Frontillustrierte. Aber das ist ja doch all für die Katz’; denn lieber kaut sich jeder von uns ein Monogramm in den Bauch, als dass er sich ergibt. Und deutsche Gefangene sind tatsächlich auch kaum drüben. Wir hatten einige Überläufer. Auf die Frage nach deutschen Gefangenen, sagten sie, obwohl sie seit Juni 41 dabei seien, hätten sie noch keinen Deutschen Soldaten gefangen gesehn!

Ja, und nun wieder zum Thema! Was nun los ist? Timoschenko hat den Abschnitt Mitte übernommen. Dazu soll die gesamte Fernostarmee im Anmarsch sein.

Die tollen Angriffe „Iwan, des Stolzen“ bei Rschew, zeigen ja, dass sich was tut. Und nun, so hörte man heute im Radio, breiten sie sich nach

Norden und Süden aus. Auch bei uns rechnet man mit Angriffen. Ich glaube fest, dass in den kommenden 2 Monaten eine Entscheidung fällt, aber nicht im Süden und nicht im Norden, sondern die Kämpfe in der Mitte werden sie bringen! Und wir wollen mal sehn, wie wir daran beteiligt sind!

Günther, das Schwein, hat ja mal wieder bedeutend mehr Glück als Verstand gehabt: Scharlach auf der Bude und Isolation! Es ist nun einmal so, die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffel!

Und wie geht es Dir? Führst Du immer noch das Leben eines Gottes in Frankreich? Was machen deine Aussichten auf Paris?

Schreib’ mir bitte bald wieder!

Alles Gute und die herzlichsten Grüße!

Heil und Sieg!
Gustav

Lieber Vater!

Kannst Du mir vielleicht einmal Briefpapier und Couverts schicken? Hier und auch bekanntlich zu Hause sind diese Artikel sehr knapp!