Gustav Roos an Bruder Günther, 1. März 1941

Braunschweig, d. 1.III.41

Liebe Jünni!

Beim Appell heute wurde mir ein Brief überreicht; Absender: Günther Roos. Mir war als träumte ich. Mein Bruder und ein Brief?!!?! Mein erster Gedanke: Bonzo hat Geld oder mal wieder meine Unterstützung in Sachen „Tanzkränzchen“ nötig! Oder ob etwas passiert ist?!?!

Ich komme auf meine Stube, getreu Deinem Rat setze ich mich. Ja, es war nötig!! 1 ½ Seiten Brief!! Von meinem Bruder! Ohne äusseren Gründe! Ich bin vollkommen fertig!!

Aber nichts desto trotz hat mich Dein Brief sehr gefreut und mir viel Spass gemacht!! Vielen Dank!

Du hast mir in dem Brief soviel neues von Euch in Brühl erzählt, und darum sollst Du auch etwas von mir hören!

Ich schreibe jetzt ganz allein; denn wenn mein Uffz. weg ist, bringt er mir den Schlüssel von seiner Bude und dann kann ich dort schalten und walten. Gesunder Zustand! Erstens bin ich hier sicher vor Störungen lästiger U.v.D’s, und 2. Alleinsein inmitten einer Ka-

Kaserne voll Menschen ist etwas ganz wertvolles, das Du garnicht ahnen kannst. Heute am Samstag gings wie immer 6.00 aus der Furzkiste. Das ist immer das scheusslichsten im ganzen Tag. Durch Türenknallen wirst Du wach, hörst auf dem Steinboden klappernde Stiefelschritte: Der U.v.D.! Krampfhaft versuchst Du die letzten Minuten zu geniessen, Dich noch einmal so bequem wie möglich auf dem warmen Strohsack zu strecken. Unmöglich! Wie das bekannte Kaninchen nicht von den Augen der Schlange wegkommt, so horchst Du auch: Tak, tak, tak! Türe auf. Zwei Stuben vorher, noch gedämpft: „Aufstehen!“ Noch einmal, aber schon weniger gedämpft: „Aufstehen!“ Tak, tak, tak, tak! (Mensch! Vielleicht geht er vorbei -!!) Scheisse!! Die Tür wird leise geöffnet. Leise das Licht angeknipst. Dann steht er da, der U.v.D. Besieht sich noch einmal das Bild des Friedens. Dann verzerrt ein sadistisches Grinsen sein Gesicht, seine Augen beginnen wollüstig zu flackern. Und dann: „Aufstehen!!!!“ Alles kämpft sich verzweifelt hoch. Aus jedem Bett klingt ein fürchterlicher Fluch! Es regnet Scheisse! Ein entsagendes Stöhnen geht von Mann zu Mann!

Also raus! In seinen sadistischen Gefühlen befriedigt, poltert der Mann mit Stahlhelm aus der Stube.

Eine Stunde Zeit bis zum Antreten. Och, da habt ihr es gut denkst Du! Noch halb im Schlaf ziehe ich mich mal halb an. Und nun der Bettenbau! Der Strohsack muss wie eine Zigarrenkiste stehen, das Leintuch hat keine Falten, die Decke liegt wie ein Brett, der Übergang zum Kopfkissen sieht aus wie eine Treppenstufe. Fertig! 6.15! Ich stürze zum Waschraum. Als ich angezogen bin, ist es halb sieben. Schnell den Kaffee, ein paar Butterbrote. Noch einmal über Stiefel, Koppel, Patronentasche gerutscht, die unvermeidliche Zigarette ins Gesicht gesteckt.

Es klingelt. 1 Std. hören. Heute morgen habe ich das erste Mal Tempo 40 gehört. 8-11.30 Exerzieren. Heute war der Teufel los. Jede 2 Min. lagen wir flach. Rannten wie die Besessenen: „Um den rechten Kasernenflügel! Maarsch – marsch!!“ Hinlegen! Auf! Nein, was macht das Spass!! Aber auch das ging vorüber. Zu mittag gabs eine fabelhafte Schrappnellsuppe und 1 Malzbier.

Samstag gibts keine Mittagspause.

Es geht los sofort mit Duschen, Waffenreinigen, Stuben- und Reviersäuberung. 16.00 Feierabend.

Dann schnell raus aus der Kaserne. Ich habe mir Brötchen, Weissbrot, Senf geholt. Ein Ei hatte ich von einem Kameraden. Und dann ganz feudales Abendessen. Etwas gelesen. Und nun ist’s wieder 8.30. Zeit zum Pennen!

Schreib’ mir bitte bald mal wieder! Von Mutter scheint mir, bekomme ich die nächsten 2 Jahre überhaupt nichts mehr.

Euch allen herzliche Grüsse und alles Gute!

Heil und Sieg!