Gustav Roos an Vater Toni und Bruder Günther, 12. Januar 1942

Bad Doberan, am 12.1.1941 [richtig: 1942]

Lieber Oller und lieber Gundikar!

Wie Ihr ja gehört habt von meiner Karte ist meine verehrte Frau Mama in Bad Doberan eingerollt. Trotz meiner schweren Verwundung habe ich mich von meinem Krankenlager aufgerafft und bin humpelnden Schritts zur Bahn geeilt. Sie kam, sah und – weinte, heulte, vergoss Massen kostbaren Salzwassers. 2 Tage lang habe ich sie nun schon hier. Teurer Bruder! Ärmster! Du hast am Russlandfeldzug das meiste gelitten!! Was musst Du mitgemacht haben! Oh! Diese Fragen!!! „Weshalb??!! Ja, warum denn??!! Kannst du dann??!!“ In einer viertel Stunde wurde nach einem Gegenstand 6 x gefragt. Ich raufte mir die Haare und begann leise vor mich hinzuweinen. Nerven, die im Donnern der Motore, im Krachen der Granaten, im sturen Gleichmass russischen Lebens zu armdicken Drahtseilen geworden waren, vermag ein Weib in Kürze auseinanderzuzerren und der Mensch der Drahtseile ist nunmehr nach eintägiger Behandlung mit dem Universalmittel „Weib“ ein loses Nervenbündel.

Die Knutscherei begann an der Bahn. Ich wurde platt gedrückt und gründlich abgeleckt. Ich dachte, lass’ se mal, fürs erste. Aber es ging weiter, auf der Strasse knutscht se mich, im Café und in den Lokalen streichelt sie mir ganz ungeniert im Antlitz rum und sogar im Lazarett fuchtelt sie mir liebevoll im Gesicht rum und leckt mich mit konstanter Boshaftigkeit vor Schwester und Kameraden ab! Und so was schickt Ihr mir für längere Zeit auf den Hals! Müsst Ihr Schufte, Euch ins Fäustchen lachen, dass Ihr sie los seid!!

„Gustav! Rauch’ nicht soviel!“ Wieviel Geld hast Du??!!!“ Das sind die Fragen die ich so gerne höre und deshalb höre ich sie den ganzen Tag stereotyp wiederholt! Oooooh! Ich Ärmster!!

Dann quält sie mich noch ein paar Krankheiten zu bekommen, so ’ne nette Lungenentzündung oder unter ne Strassenbahn kommen, nur um ein paar Tage länger im Lazarett zu bleiben! Ich weiss nicht, ist das noch mütterliche Liebe!

Und so habe ich mich entschlossen die Tage des Leidens abzukürzen, aus dem Lazarett zu entfliehen und mich in Kürze in Brühl daran zu ergötzen, wie man Euch beide quält,

d. h. „bemuttert! Ich hoffe, dass ich Euch beide noch antreffe, wenn Ihr nicht schon verhungert seid oder in ungespülten Geschirr erstickt seid. Vielleicht finde ich Euch auch in Zigarettenaschen eingeschneit.