Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 21. Juli 1941

Russland, am 21. Juli 1941

Liebe Mutter!

Heute komme ich einmal wieder dazu Dir zu schreiben. Es ist Mittag, und ich hoffe, dass man uns etwas in Ruhe lässt. Zuerst muss ich Dir sagen, dass ich weder von Dir noch von Vater Post von nach dem Beginn des Feldzuges erhalten habe. Ich glaube also in dieser Beziehung geht es mir noch schlimmer als Euch. Aber als Soldat habe ich ja warten gelernt. Am 16. erreichten wir nach einem ganz üblen Gewaltmarsch von 60 km durch Wald und Moor und „fliegende“ Strassen bei Stabyi Bychow den Dnjepr. In diesem Ort, von dem der grösste Teil coventrisiert war, lagen wir fast 2 Tage. Bis heute (liegen) zogen wir dann in kleinen Tagesmärschen am Dnjepr entlang nach Süden. Feindberührung haben wir sozusagen kaum noch. In einem kleinen Dorf zelten wir nun und warten auf den Abmarsch. Es ist kurz vor dem Mittagessen, auf das wir heute mit besonders grosser Spannung warten. Es gibt nämlich heute 12 Gänse und dazu Reis. Das kann sich doch sehen lassen!

Na, im allgemeinen geht es mir noch immer ganz gut. Vier Wochen Feldzug und damit fast 1000 km Marsch liegen hinter mir. Eine ganz nette Leistung, oder nicht? Ob in den nächsten Wochen auch die 2000 vollwerden? Der Himmel

möge uns davor bewahren!

Vom Mittagessen habe ich gerade 3 Schläge verdrückt. Die Gans und auch der Reis waren fabelhaft. Heute abend gibt’s Milchreis. Auf den freue ich mich jetzt. Wenn es abends nichts warmes gibt, sieht es nicht besonders gut aus. Brot ist nämlich ziemlich rar. Butter habe ich sit dem 22.6. nicht mehr gesehen. Dafür gibt’s Schmalz. Sonst werden wir mit Hering in Tomatentunke, Büchsenfleisch und –käse beglückt. Ein Konservenleben!

Zum Lebensmittel „organisieren“ haben wir gar keine Zeit mehr.

Am 18. u. 19. habe ich das erste Mal seit langer Zeit am Funkgerät sitzen können und mal wieder im „Fach“ wirken können. Das tat mal wieder gut.

Am 22. Juli 1941
Gestern wurde meine Schreiberei durch einen plötzlichen Abmarsch unterbrochen. Das war weniger schön. Dafür bekam ich aber Post!!! Post!! Du kannst Dir bestimmt nicht vorstellen, wie mich das gefreut hat. Einen Brief von Dir vom 3.7., einen von Günther, einen von Vater vom 2. und 3 Zigarettenpäckchen!! Nach 5 Wochen ein Lebenszeichen! Ich dachte schon der Tommy habe Euch alle leicht lädiert! Vater geht es, wie er schreibt auch noch gut. Er ist wohl jetzt in Lemberg. Waren die Briefe eine Erlösung aus seelischer Not, so die Zigaretten eine aus körperlicher.

Dass Du Dir Sorge um mich machst, kann ich gut verstehen. Aber zuviel ist auch nicht gut.

Es wird schon alles in Ordnung gehn; denn lange kann der Russe das nicht mehr machen.

Aus dem Brief von Günther musste ich unbedingt 2 Sätze vorlesen. 1. „Komm’ mir nur nicht ohne Ritterkreuz nach Hause!!“ Kommentar der Kameraden: „Idiot, Hammel, noch kein Pulver gerochen, grüner Knabe, ist wohl noch nie getippelt!!“ Als ich aber den Satz von Tante Ella vorlas: „Ihr werdet die Russen verhauen, dann noch gegen England und dann ist der Krieg aus!“ Das war zuviel für die doch schon sehr viel gewohnten Ohren der Muskoten. Beinahe hätte man mich schon umgebracht. „Na, Krieg ist ja auch ein Kinderspiel! Die ist wohl unverheiratet!? Und hat wohl keine Kinder hier draussen?!“

Du siehst mit Ritterkreuzen und Idealismus darfst Du uns nicht kommen. Das erregt nur noch!

So und nun noch einmal: Sorg’ Dich bitte nicht zuviel um mich!! Es geht vorüber!! Das ist auch unser einziger Trost!

Und nun alles Gute und herzlichste Grüsse!

Heil und Sieg!
Gustav.