Gustav Roos an Bruder Günther, 15. Mai 1941

O. U., den 15.5.1941

Lieber „Gundikar“!

Ich danke Dir herzlich für Deinen Brief! Es war wieder eine Hyroglyphen-Einheitskurzschrift! Ein Vexierrätsel! Aber das ist ja egal. Hauptsache ist, Du schreibst! Das Bild, Blick über Rochels Baum auf Gruhls Haus, ist ganz nett! Nun zum „Sergeanten Berry“! Der hat Dir ja nun gefallen. Aber Du kannst mich auf den Kopf stellen: von einem Buch mit dem poesievollen Titel „Mein ist die Rache“ weiss ich nichts. Und ich kann mich auch nicht erinnern, jemals sowas in der Hand gehabt zu haben. Wie das ins Päckchen gekommen ist, ist mir schleierhaft! Ich leide augenscheinlich an chronischer Kleptomanie.

Von den versprochenen echt bulgarischen Papyrossi habe ich leider noch keine Spur gerochen. Ich rechne stark mit Ihrer Ankunft in den nächsten Tagen. Hoffentlich verrechne ich mich nicht!

Tjä, teurer Bruder, mir gefällt es nun im fernen Osten ganz gut. Besser als in Braunschweig und auf jedenfall besser als in Bergen, wenn es auch sehr primitiv hier ist.

Ja, Knäblein, der Dienst ist prima. Eine Erholung! Vom berüchtigten Sadismus meiner ehemaligen Vorgesetzten ist nichts zu merken. Unser Chef ist allerdings ab und zu so’n bisschen bekloppt, aber das geht vorüber. Ausserdem ist das Wetter jetzt i. O. Der Geländedienst, kleine „Kriegsspiele“ mit Platzpatronen macht so wirklich Spass! Nur einen Fehler hat Polen: Alles ist unverschämt teuer, gemein teuer. Fünfzig Prozent Löhnung bekomme ich jetzt mehr. Merken kann ich das nicht! Für 6,- habe ich Photos bestellt. Meine Wäsche wird gewaschen. Das kostet etwa 3,-. Dann die Preise für alle andere. Erschütternd! Eine Auffrischung meiner zerrütteten Finanzen ist sehr erwünscht. Setze das bitte mal Mutter auseinander. Aber nach Muttertag!

Gerade habe ich Wache am Btl. Zu 6 Mann, alles Abiturienten sitzen wir hier. In 2 Std. kommt mein erster Posten, von 24.00-2.00. Heute und morgen komme ich einmal wieder dazu meine fällige Korrespondenz zu erledigen. Das sind 12 Briefe! Die werden aber auch erledigt.

Mich haben nun die 3 Monate Kommiss vollkommen stur gemacht. Mann muss mindestens 10 Mal brüllen, um überhaupt zu erreichen,

dass ich aufhorche. Wenn meine Stubenkameraden nicht so gut wären, wäre ich längst verblödet. Seit ich aus dem Lazarett entlassen worden bin, bin ich noch kein einziges Mal aus meinem Anzug gekommen. Stell’ Dir das mal vor! Und wenn ich dann an die neuen französisch-belgischen, raffinierten Anzugkombinationen denke, die jetzt bei uns im Zimmer sich langsam von Motten durchlöchern lassen, wird es mir ganz komisch zu Mute. Der Gedanke, dass Du mit meinem braunen Swing- und Tangoanzug kleine Mädchenherzen zu brechen gedenkst, bringt mich zur Verzweiflung. Du bist ein Kriegsgewinnler! Während Dein Bruder an den Grenzen treue Wacht für Volk, Führer und Vaterland hält, frönst Du in der Heimat den lasterhaftesten Vergnügungen. Wo soll da die Heimatfront bleiben?! Von Rationen, die ganz den, sich am Altar des Vaterlandes aufopfernden Soldaten zugedacht sind, wagst Du skrupellos 20 % in Deine Taschen gleiten zu lassen! Möge Dir Allah dafür Schwemmsteine im Bauche wachsen lassen, Du Jitschpissel!! Während fern von der Heimat, der teuren, stolze Krieger

sich in hartem anstrengendem Dienst auf alle Eventualitäten vorbereiten, schweifst Du mit Deinem Harem durch die Gefilde Brühls! Die Front zweifelt an der Heimatfront!

Nimm’ Dir das zu Herzen, sammle glühende Kohle auf Dein sündiges Haupt und bereue! So, nun noch was? Was ist mit Rudolf Hess los? Die offiziellen Berichte kenne ich. Jedoch nichts mehr. Was denkst Du über den Fall und was hat man für Vermutungen?

Schreib’ mir also bald einmal wieder!

Alles Gute und herzliche Grüsse an Euch alle!

Heil und Sieg!

Gustav