Gustav Roos an seine Eltern, 11. Februar 1942

Göttingen, am 11.2.1942

Liebe Eltern!

Am Anfang des Briefes muss ich Euch eine betrübliche Mitteilung machen: Mein Antrag wurde leider abgelehnt. Vielleicht war der von Offermann noch nicht da, vielleicht besteht noch eine kleine Hoffnung, wenn er kommt. Allerdings nur ein Fünkchen! Schade.

Aber wenn die Urlaubssperre aufgehoben werden sollte, ist es möglich, dass ich noch meinen Erholungs- bzw. Fronturlaub bekomme. Und wenn nun alles ins Wasser fallen sollte, na, dann bekomme ich doch sicher Besuch nach Göttingen! Leider kann ich auch nur feststellen, dass meine inneren Organe sämtlich versagen. Der Facharzt konnte nach der Untersuchung von Herz und Lunge und nach der Durchleuchtung überall „ohne Befund“ kritzeln! Wie Du siehst, mir konnte keener, nicht einmal Russland! Und wie schon gesagt, dass es in Russland einmal wieder vorgehen sollte, ist unvorstellbar, ohne mich!!

In der Genesungskomp. sieht man lauter alte Bekannte, auch der Stab kommt allmählich zusammen. Am 7. Dez. hat er sich auch in grosser Zahl in die Lazarette verkrümmelt; Erfrierungen und Fleckfieber. Unser Staffelkapitän soll an dem Fieber gestorben sein. Unser Regiment mit der

herrlichen Zahl 82 hat noch bis zum 27.12. Kaluga verteidigt, 82! Oberst Hossbach übernahm nach der Verwundung von General Berthold die Division. Er soll am 7. vor dem Batl. geweint haben und gerufen haben: „Wo sind meine Btl. geblieben?!“ Von unserem Btl. ist noch ein Offizier übrig draussen: Ltn. Angermann, der Tangoknabe aus Hannover, der in der Nacht vom 5.-6. unser Häufchen in Nicolsnikije-Siedlung geführt hat. Für den Nachtangriff, in dem er voranging, Hände tief in den Manteltaschen, ohne Waffen, und die Russen bis zur Schlucht zurückgedrängt wurden, bekam er das Ritterkreuz!!

Die Russen greifen immer noch in gleicher Weise an, mit unerschöpflichen Massen an Menschen und Material, ohne Rücksicht auf alle Verluste, ohne Rücksicht auf jede Art von Anständigkeit. So erzählte mir heute ein Kamerad, dass der Russe in deutscher Uniform, mit deutschen Waffen angegriffen habe!!

Mir geht es, wie gesagt, ganz gut. Wenn man sich einmal wieder etwas in den Garnisonsbetrieb eingelebt hat, macht er einem auch wieder mehr Spass. Man muss gute Miene zum bösen Spiel machen. Allerdings 2-3 Jahre möchte ich nicht mehr Soldat spielen! Auf die Dauer verliert alles seinen Reiz, auch das Soldatsein und Kriegspielen! Nebenbei nach einer neuen Verordnung können Medizi-

ner wieder studieren, wenn sie 1 ½ Jahre Soldat sind und ein Semester haben. Hoffentlich setzt man bald einmal auch für die anderen Fakultäten die Bedingungen herunter!

Diese Woche war ich noch nicht aus. Die Kinos spielen Filme, die ich aber nun auch alle schon 2 Mal gesehn habe, sonst ist für mich ziemlich wenig los in dem Kaff. Ausserdem ist ein Spaziergang in Göttingen bedeutend gefährlicher als ein Ausflug in die dichtesten Dschungel Hinterindiens; denn hier liegt 82 und an jeder Ecke lauern „3 Tage“ auf Dich! Morgen werde ich mich auch im Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisrock mit und ohne Stahlhelm photographieren lassen. Das wird schööön!!

Ein Einschreibebrief und das Päckchen habe ich noch nicht erhalten. Wie das kommt ist mir schleierhaft. Es wäre auch sehr schön, wenn Ihr mir einmal etwas mehr schreiben würdet. Ich kritzele mir die Finger wund, und Ihr stoppelt Euch mit Müh’ und Not zu 3 Mann einen Brief in 2 Wochen ab!!

Dann schickt mir bitte die gewünschten Sachen, dazu bitte die Zeitschriften, die Ihr gelesen habt, ausserdem benötige ich:

Putzzeug (Schuhbürste und Einschmierbürste), Badehose, Niveacrème. Das wäre vorläufig mal genug! Aber lasst mich bitte nicht

zu lange auf alles warten. Eilpakete sind doch nicht soviel teurer.

Nun bin ich vollkommen ausgepumt und darum Schluss für heute!

Sobald ich wieder Stoff habe, folgt der nächste Brief!

Nun also die herzlichsten Grüsse an Euch, Günther, die Omas und Tante Uta!

Heil und Sieg!
Gustav