Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 10. Mai 1942

Russland, am 10.5.1942

Liebe Mutter!

Gerade komme ich von Wache und will Dir beim dürftigen Licht einer Kerze noch kurz etwas schreiben. Es geht mir für russische Verhältnisse ganz gut. Wir liegen noch immer am selben Ort in Stellung. Viel zu tun gibt es ausser Vermittlungsdienst und Störungssuche und der Wache bisher kaum etwas. Der Russe ist jetzt ziemlich ruhig. Wenn er einmal angreift, lässt er immer Haufen von Toten zurück. Die Division vor uns hat, wie Überläufer aussagen, fast sämtliche Kommissare und Offiziere verloren. Ihre Nachschubschwierigkeiten sind noch grösser als unsere. Im allgemeinen regt uns der Russe nur auf durch sein Störungsfeuer. Und am Abend, wenn es dunkel ist, kommt die „Rollbahnkrähe“. Also, ein ganz sturer Vogel. Kommt pünktlich, wie ein U.v.D. Gerade während meiner Wache konnte ich es wieder schön beobachten. Alles, was schiessen kann, schiesst, und zwar mit Leuchtspur. Ein ganz phantastisches Feuerwerk. Scheinwerfer tasten den Himmel ab. Da! Sie haben ihn! Doch der Knabe lässt sich nicht stören. Stur weiter geradeaus. Und plötzlich schiesst er mit seinem M.G. gerade in den Strahl des Scheinwerfers. Du hättest einmal sehen

sollen, wie schnell der ausging. Die Russen schiessen nun die ganze Front entlang Leuchtkugel ab, so dass man genau sehen kann, wo die Kampflinie verläuft und danach lässt er seine Eier fallen. Und jeden Abend kommt er wieder, stur, denn er braucht ja keine Angst zu haben; er kann sich ja auf unsere Flak verlassen.

Da die Rollbahn zur Zeit gesperrt ist, ist die Verpflegung mies. Auch leider wieder einmal die Rauchwaren. Aber ich hoffe, dass, sobald es mal schönes Wetter wird, auch die Rollbahn freigegeben wird.

Läuse habe ich keine. Die haben mich. Es ist zum die-Wände-hinaufkrabbeln, wie diese verfluchten Biester einen piesacken. Und alles Entlausen ist zwecklos. Wenn man sie einmal wieder hat, bekommt man sie nicht mehr los.

Ganz nebenbei, Urlaub gibt’s bei uns nun auch. Jede Woche ein Mann vom Btl. Da ich nun schon einmal Urlaub gehabt habe, bin ich voraussichtlich Ende 1944 oder Anfang 1945 wieder an der Reihe! Nett, nicht?!

Das Wetter ist noch immer unter aller Kanone. Regen, Schnee, Wind, Sturm!! Keine Spur von Sonne, Wärme und Frühling! Ohne Mantel friert man noch immer und noch immer watet man durch tiefen

Matsch. Und in Deutschland war Frühling als ich abfuhr.

Im Briefverkehr hat man nun eine Neuerung eingeführt: die „Flugfeldpost“. Monatlich erhalten wir 2 x je 2 Flugfeldpostmarken. Mit 2 bekleben wir unsere Briefe und 2 Marken schicken wir nach Hause, damit wir auch mal schneller Post bekommen. Heute sende ich Dir nun die erste. Das Couvert für Feldflugpost von der Heimat nach uns muss so aussehen:
Flugfeldpost rot unterstreichen und 2 rote Striche diagonal über das Couvert. Also ran!!

Schreibt’ mir bitte sofort! Denn dass ich auf Post brenne, könnt Ihr Euch denken. Was macht Vater?! Teilt mir bitte sofort seine Adresse mit, und gebt den Brief an ihn weiter!

Also, liebe Mutter, mach’ Dir keine Sorgen und lasst bald etwas von Euch hören!!

Für heute nun alles Gute und

die herzlichsten Grüsse Dir, Vater, Jünni und allen Verwandten!

Heil und Sieg!
Gustav