Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 20. Mai 1942

Russland, am 20.5.1942

Liebe Mutter!

Noch immer habe ich keine Post erhalten. Das ist zum Kotzen! Wenn man weiss, es kann nicht mehr lange dauern, dann kommt sie, fällt das Warten darauf doppelt schwer. Aber nun haben einige Leute, die mit mir gekommen sind, schon einen Brief erhalten, und so kann es bei mir ja auch nicht mehr lange dauern!

Bei uns ist noch alles beim alten. Sozusagen, heisst das! Pfingstsonntag sind einige Nachbardivisionen gegen die Truppen in unserem Rücken angetreten. Dort bumst es wieder ordentlich. Und den ganzen Tag sieht man Rauchwolken von brennenden Dörfern im Norden. Seit diesem Angriff hat sich noch etwas geändert. Und das fing so an: Dienstag Morgen stehen wir vor unserem Bunker. Da kommen die Rollbahn ent-

lang gesaust 5 Jäger und knattern wie verrückt aus allen Rohren in die Gegend. Ratas! Wir waren platt; denn dass der Russe an Flugzeugen noch etwas anderes auf die Beine stellen könnte, als die komische „Rollbahnkrähe“ hatten wir nicht mehr geglaubt. Und nun hält es sich dran. Sie kommen nun öfter am hellen Tage, meisten aber sind es keine russischen Maschinen, sondern amerikanische Modelle. Wir haben auch schon englische Hurrikans gesehen. Unsere Me 109 ist natürlich schwer hinter all diesen Dingern her und patrouilliert den ganzen Tag die Rollbahn entlang. Aber die ist bald 200 km lang und so also auch schwer zu überwachen. Trotzdem aber kann man sagen, dass wir am Tage die Luftüberlegenheit haben.

In der Nacht ist das anders. Kaum ist es dunkel dann beginnt es zu rauschen.

Ohne Pause kommen sie: Bomber, Transportmaschinen, die die Luftlandetruppen versorgen, Jäger und natürlich auch die „Rollbahnente“. Und keine deutsche Maschine lässt sich blicken. Und der Russe fliegt so niedrig, dass man ihn ohne Scheinwerfer sehen kann. Alles schiesst, schwere Flak, leichte, M-Gs, und jeder der einen Karabiner hat, und alles mit Leuchtspur. Das ist ein Feuerzauber! Und trotzdem ist noch keiner abgeschmiert. So weiss der Russe natürlich, dass er sich mit 99 % auf unsere Abwehr verlassen kann und wird täglich frecher! Das dollste Stück ist ja, dass er nun zwischen den angreifenden Truppen und uns, wieder Truppen landet, und so haben wir hier x Fronten hintereinander!

An unserer Front ist es nun Gott sei Dank ziemlich ruhig, nur eben seine Artillerie legt

ab und zu Störungsfeuer auf und um die Rollbahn.

Dafür ist uns ein neuer Feind erwachsen. Wir liegen in einem Sumpfgebiet. Das sagt Dir wohl genug: Mücken! Mücken, nichts als Mücken!! Es ist eine Katastrophe! Wo man hinkommt, hinguckt: Mücken! Weitere Klagen über das Thema will ich Euch ersparen. Lest bitte nach in meinen Briefen vom Vorjahr aus Biala! Aber trotzdem es ist furchtbar! Wo man Kleider an hat krabbeln Läuse und machen einen wahnsinnig und wo die Haut herausschaut kleben Mücken. Ist man im Bunker hört man sie surren, kommt man ans Freie, stürzen sie in Wolken über einen her. Wie schön könnte man bei dem herrlichen Frühlingswetter Sonnen- und andere Bäder nehmen, wenn sie nicht wären, die Mücken!!!

Es geht mir gut. Überarbeiten tue ich mich nicht. Unser Leitungsnetz liegt nun und sämtliche Strippen sind, so weit es geht hochgelegt.

Du wirst es auch schon gemerkt haben, dass ich kaum noch vom Funk rede. Ja, von unseren 4 Funklinien sind drei der winterlichen Frontbegradigung zum Opfer gefallen. Und die übriggebliebene eine ist auch defekt. Ausserdem darf der Funk wegen Abhörgefahr in einer Stellung nicht eingesetzt werden. Also mache ich einen auf Fernsprecher! Mein Appetit ist ins Ungeheuerliche gestiegen! Wie Dir die Kameraden bestätigen könnten, ist es einfach ein Ding der Unmöglichkeit mich satt zu bekommen. So einen Appetit und solche Mengen von Fressalien aller Art verschlungen habe ich mein ganzes Leben

noch nicht. Mittags esse ich mindestens ein Kochgeschirr bis oben hin gefüllt und nehme mir die gleiche Portion für abends mit. Dazu esse ich täglich aber noch immer ½ - ¾ Kommissbrot und ein Kommissbrot wiegt 1800 g. Ich bin einfach nicht satt zu bekommen und habe immer Hunger!

So, nun habe ich einmal wieder genug geschrieben! und warte nun einmal auf Post von Euch!

Alles Gute und herzlichste Grüsse an Euch alle!

Heil und Sieg!
Gustav