Gustav Roos an Vater Toni, 31. Oktober 1941

Bjelew, am 31.10.1941

Lieber Vater!

Es ist beschissen!! Es ist ganz beschissen! Hätte ich doch niemals etwas von Russland gesehn!

Ja, hier liegen wir nun seit 3 Tagen. Es wird kasernenmässig Dienst gekloppt. Wenn es nicht andauernd regnen würde und alles tiefer Matsch wäre, würde bestimmt noch exerziert und „das Gewehr über“ gedrillt. Na ja, das ist preussisch, doch davon später!

Zuerst einmal regnet es und die Strassen sind vollkommen versumpft. Was das für die Infanterie bedeutet, wie sich die Märsche für Mann und Pferd erschweren, das wird Dir wohl bekannt sein und das wirst Du wohl auch da unten im Süden täglich beobachten können. Dazu kommt noch, dass wir seit 3 Wochen keine Post mehr bekommen haben und seit 10 Tagen schon der Verpflegungsnachschub

stockt. Wir sind in der Verpflegung also vollkommen auf uns angewiesen. Auf dem Marsch bedeutete das, dass die Kartoffel unser Haupternährungsmittel zusammen mit organisiertem Russenbrot wurde. Gott sei Dank hat die Küche einen grossen Vorrat an Hülsenfrüchten, so dass wir wenigstens immer anständiges Mittagessen hatten. Hier in der „Ruhe“ wursten und backen wir nun selber. Nur Zigaretten können wir uns nicht herzaubern und das ist das schlimmste. Noch 2 Tage müssen wir aushalten, erst dann wird Verpflegung und vielleicht auch Post herankommen.

Wir „ruhen“ also zur Zeit und sammeln geistig und körperlich neue Kräfte für kommende harte Tage. Wahrscheinlich werden wir bald trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit und der schlechten Wege weitermarschieren. Und wenn wir die N-O Richtung bei-

behalten, ist es möglich, dass wir, obwohl wir jetzt weit zurück sind, doch noch nicht zu spät kommen, um es in Moskau knallen zu hören. Na, wir werden sehen!

Es geht mir gesundheitlich noch gut. Eben nur erkältet bin ich. Aber die Läuse!! Mein lieber Mann, dieses Sauvolk macht mich noch verrückt. Nun habe ich sie nämlich auch. Das kribbelt, krabbelt, läuft, beisst, juckt zum Kotzen. Heute konnte ich, trotzdem ich gestern noch die Wäsche wechselte, wieder 18 Stück knacken. Mein Hemd gleicht einem Schlachtfeld. Bei mir ist es aber noch harmlos. Wir haben Leute, die es auf Hundert, Rekord sogar 300 Stück pro Tag brachten. Hier hilft auch Sauberkeit, soweit sie überhaupt möglich ist, nichts. Poullover und Schlafdecken sind verlaust und einer steckt den anderen an.

Was nun die Hoffnung auf einen Winter im Reich anbelangt, so

habe ich alles bei dem jetzigen Stand der militärischen Ereignisse aufgegeben. Am russischen Winter werde ich nicht vorbeikommen. Ich habe mich damit abgefunden. Der grösste Fehler, die dummste Dummheit meines Lebens, war es, dass ich am 2. Januar nach Hannover fuhr und nicht ab nach Wimereux. Ich glaube dann wäre mir Russland angenehmer bekommen. Nun muss ich eben durchhalten, bis der Dreck zu Ende ist.

Eines jedenfalls habe ich nun kennengelernt in meinem Regiment, und das ist preussischer Militarismus, und glaub’ mir so manches Stückchen werde ich ihm niemals vergessen!! Und auch Du wirst staunen, wenn ich später einmal davon erzähle! Ich will hoffen, dass ich auch von Dir Post erhalte, wenn sie in den nächsten Tagen kommt.

Letzte Nachricht von Dir bekam ich am 5. Oktober und da war der Brief schon 4 Wochen unterwegs gewesen.

Wo hängst Du? Noch immer in Krementschug beim Brückenbau oder seit Ihr schon weiter? Schreib’ mir bitte möglichst bald und möglichst oft wieder!

Für heute nun alles Gute
und die herzlichsten Grüsse!

Heil und Sieg!
Gustav