Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 30. August 1942

Russland, am 30.8.1942

Liebe Mutter!

Deinen Luftfeldpostbrief vom 19.8. habe ich erhalten. Weiterhin habe ich vom 18. bis heute 12 Päckchen, die laufenden Nummern der Illustrierten und 3 Skizzenblocks mit Briefpapier und Couverts erhalten. Vielen Dank dafür! Nun freue ich mich schon auf die 1 kg-Päckchen, die ja auch in den nächsten Tagen ankommen werden.

Nun will ich Dir einmal etwas von mir erzählen. Seit dem 21. sitzen wir wieder in Stellung. Wir drangen vorher bis zu einem kleinen Fluss vor, warfen den Russen vom westl. Ufer und buddelten uns ein. In den ersten 5 Tagen machte der Russe wütende Gegenangriffe. Sie sahen dann aber doch ein, dass dort, wo unser Rgt. liegt, wenig zu machen ist. Außerdem war inzwischen eine derartige Menge an Artillerie und anderen schweren Waffen hinter uns aufgefahren, dass von vorneherein ein Angriff aussichtslos ist.

Seit 4 Tagen bin ich als Funker bei der 4. Kmp. Als ich hier in dem Dorf ankam, hatten Pioniere schon Bunker gebaut und so konnten wir beiden Funker gleich in den Bunker des Kmp.-Chefs ziehn. Der Bunker ist tadellos, schön geräumig vor allem. Am Tage ist unsere Bewegungsfreiheit naturgemäss sehr eingeschränkt und erstreckt sich nur auf das Haus und den Raum dahinter, wo unser Bunker „Stille Liebe“ liegt. Im Stall des Hauses hegen wir unseren Stolz „Lydia, die Milchkuh“, die uns täglich morgens und abends je einen Eimer voll Milch gibt. Ein edles Tier! Um den Bunker herum stehen eine Menge von Bienenkästen. Das hat nun zur Folge, dass ich

erstens einmal Unmengen von Honig verdrücke, zweitens aber mit einigen Stichen im Gesicht und am Körper fast täglich verunziert. Im übrigen pflegen wir uns, diese Pflege besteht in der Hauptsache aus gutem Essen. Das O.K.W. weiss was es uns schuldet: unsere Verpflegung isst einmal wieder großartig. Unsere warme Verpflegung, die es hier natürlich erst im dunkeln gibt ist tadellos, oft süße Suppen und Pudding mit Obst. Bei der kalten Verpflegung gibt es auch immer süße Sachen, Bonbons und Schokolade, Sprudel und Rotwein. Das Mittagessen, das wir uns aus Dorfbeständen selbstkochen, ist der Höhepunkt des Tages. Gestern hatten wir z. B. Hammelkeule mit Gurkensalat, heute gebratene Hähnchen, morgen gibt’s Spargelköpfchen! Tolle Sachen! Mit Marketenderwaren, mit Zigaretten und geistigen Getränken überschüttet man uns in den letzten Tagen auch einmal wieder. Während wir im Angriff ganz „ohne“ sassen, nach einer einfachen Kippe jappten, konnte ich jetzt für 25,- Zigaretten kaufen. Da staunste! Ich bin nun aber auch immer eingehüllt in eine blaue Dunstwolke. Für 12,- gab’s Wein, Cognac und Apricot-Brandy. Du siehst, man denkt an uns und läßt uns nicht verhungern!

Mir geht es natürlich wieder ausgezeichnete, d. h. bis auf einen jämmerlichen Dünnpfiff. Na, bei dem guten Essen und den Honigmengen wohl kein Wunder! Aber sonst alles in Ordnung. Ich habe mich allmählich so an das Landserleben und an Russland gewöhnt, dass ich mich immer glücklich fühle, sobald ich meine Ruhe habe. Ruhe, Ruhe, das ist immer meine Parole!! „Pan, Iwan“ ist wie gesagt, er ist ganz ruhig, notgedrungen; denn wenn er mal mit seinem M-G.

uns lästig zu werden beginnt, bekommt er etwas auf den Ast, das ihm hören und sehen vergißt. Entfernt von uns liegt er 100-150 m, an sich eine geringe Strecke, aber der Fluss liegt dazwischen, das ist günstig. Der Grund, dass ich sogerne bei der Kmp. bin ist der, dass ich nämlich da ganz auf mich gestellt bin. Das Btl. ist weit und bei der Kmp. kann mir keiner etwas sagen. Solange also meine Verbindung in Ordnung ist, kann mir keener. Außerdem kommt noch dazu, dass auf dem Btl. z. Z. noch eifrig an den Bunker gebaut wird. Und das geht gegen mein absolutes Ruheprinzip. So komme ich zum Haufen zurück und kann mich gleich in ein frisch gebuddeltes Nest legen.

Man kann heute immer wieder feststellen, dass unsere Führung sehr viel in einem Jahr gelernt hat. Heute wird für uns viel besser gesorgt, als im Vorjahr. Dieses „Konservenleben“ des vorigen Sommers ist z. B. ganz vermieden worden. Ein Glück! Den ganzen Sommer wird aber auch schon für die Schlammzeit des Herbstes und den Winter gearbeitet. So ein Unglück, wie im Winter 41 wird uns bestimmt nicht mehr passieren. Ein zweiter Winter wird bestimmt bedeutend besser zu ertragen sein, auch wenn wir noch zu keinem Abschluss gekommen sind. Denn dass wir noch in diesem Jahre zu einem Abschluss kommen, halte ich für unwahrscheinlich. Aber man kann’s ja nie wissen!

Vater schreibt mir auch immer pünktlich. Günther schreibt einfach bewunderns-

würdig regelmäßig. Ihm scheint es sehr an Rauchwaren und materiellen Gütern zu mangeln. Ich sehe mich veranlasst, ihm eine kleine Unterstützung zukommen zu lassen. Geld an Dich kommt demnächst per Postanweisung. Es kommen im 2. Teil Russland nicht so dolle Summen raus. Es gibt zu viel Marketenderwaren! Luftpostmarken kann ich Dir leider jetzt nicht schicken. Nach der Schreibpause habe ich Dir 2 Briefe per Luftpost und Vater und Günther je eine. Wenn ich nun wieder neue bekomme, kriegst Du sie! Aber eine andere Marke habe ich – ich sehe Dich schon erblassen – nämlich eine Zulassungsmarke. Was ich für Wünsche habe? Ich glaube das überlasse ich am bestem Dir. Lediglich bitte ich – wenn es möglich ist – um eine Pfeife und ein Taschenmesser. Sonst scheint es wirklich, dass ich wunschlos glücklich bin.

Frau Tittmann werde ich auch sofort noch schreiben!

Für heute nun wünsche ich Dir, den Omas, Tante Uta, Onkel Jupp und Tante Lina alles Gute und sende Euch allen die herzlichsten Grüße!!

Heil und Sieg!
Gustav

Anbei eine Zulassungsmarke für Kilogrammpäckchen.