Toni Roos an Sohn Günther, 16. Juni 1943

Lieber Günther!

Heute am 16.6.44, früh 9 Uhr stand ich vor der sogenannten Mordkommission, die die herrliche Aufgabe hatte, aus den in Paris wohnenden Zivilisten eine neue Armee zu bilden. Alles was zur Weiterführung der Wirtschaft nicht 100 % nötig war wurde also herausgezogen und Soldat gemacht.

Da wir nun zu 7 Deutschen in unserer Fa. nur 2500 Franzosen zu beaufsichtigen haben, wurden von diesen sieben 3 zum Militär auserkoren unter anderen auch ich.

Entsprechend meiner gehobenen Stimmung schreibe ich auf entsprechendem Papier.

16/6. 10.00 Uhr.
Dank meiner alkoholischen Beziehungen hat der Spieß mich als Schreibkraft bei General Behrenfeld abgestellt, dem Leiter der „Mordkommission“.

Ich habe meinen Sitz zur Rechten des Vaters und mache Aktenvermerke zu den Entscheidungen. Neben mir sitzt Major Hülsdorf der Leiter des Pariser Quartieramtes, Geburtsort Köln.

Die Sache entwickelt sich, denn ich habe nun Tuchfühlung.

16./6. 19.30 Uhr Der Tag ist um ich habe für Heute ausgekritzelt und nebenbei erreicht, daß ich nur während der Nacht Soldat bin und am Tage als Zivilist ins Geschäft gehen kann, also immerhin ein Fortschritt.

17/6 10 Uhr. Ich sitze wieder zur Rechten des Vaters und kritzele. Um den lästigen Fragereien seiner Exelenz aus dem Wege zu gehen habe ich über das Prüfungsergebnis laufende statistische Aufzeichnungen gemacht.

Exellenz ist entzückt und erlässt Anweisung dies in Zukunft immer so zu machen.

17.6. 14.00 Uhr. Die Schlacht ist geschlagen. Mein Entscheid ist auf 2 Tage Militärdienst in der Woche abgeändert. Also immerhin ein Fortschritt [...] zurück also schon die Nacht in meiner Wohnung zu verbringen.

19/6.44 10.00 Uhr
Das Morden geht weiter. Ich sitze zur Rechten des Vaters. Um 18.20 Uhr ist Schluss. Ich bin vom Militär bis auf unbestimmte Zeit entlassen. Immerhin ein Fortschritt
und schreibe nun wieder auf normalem Papier

Meine Brocken liegen wieder auf Kammer, ich habe meinen Pass zurück und auch schon den nötigen Cognac im Bauch. Es ist wieder eine Lust zu leben und hat das Gefühl, daß man auch als Zivilist noch leben kann.

Meine Firma ist inzwischen in die Gegend von Epernay-Chalons abgehauen und hat heute den ganz deutlichen Befehl erhalten nach Paris zurückzukommen.

Ich warte also auf die Rückkehr meiner Banausen.

Die Stimmung in Paris ist seit der Bombardierung England, bedeutend besser geworden und die Eingeborenen machen uns wieder schöne Augen. Der Kampf an der Küste ist sehr hart, wie ich von Verwundeten die mit mir in der „Scole militáre“ lagen gehört habe. Die Luftüberlegenheit der Feindseite ist noch erdrückend und unsere Soldaten haben einen harten Stand, da sich die Bearbeitung der engl. Küste noch nicht auswirkt. Bis zur Zeit sollen ca. 1000000 gelandet sein mit unheimlichem Material zu Lande und in der Luft.

Wenn nun der Nachschub unterbunden oder wesentlich gestört

wird kommt erst die Auswirkung und dann ist unsere Zeit gekommen, daß man die Saubande kurz und klein haut.

Die Wirkung unserer Fernkampfwaffe muß ausgezeichnet sein. Wie Du aus beiliegendem Ausschnitt aus der Zeitung ersiehst, bietet dagegen selbst die Londoner Untergrundbahn keinen Schutz.

Mein Freund Monsieur Forest sagte mir, der engl. Rundfunk habe von einer barbarisch deutschen Kriegsführung gesprochen. Sonderbar diese Ansicht der Engländer. Die Burschen glauben wohl, daß die Bombardierung der deutschen und französischen Städte für uns ein Vergnügen gewesen sei.

Aug um Aug, Zahn um Zahn. Alle Städte der engl. Südküste stehen in Flammen wie mir heute von OT. Kameraden aus St. Malo berichtet wurde. Hoffentlich gelingt es uns auch New York mit dem Zeug zu bearbeiten, denn die größten Lumpen sitzen dort.

Was hier alles los war, erzähle ich dir einmal, wenn wir uns zu Hause treffen. Auf jeden

Fall kann ich Dir nur jetzt schon sagen, daß die Ehrenbürger von Paris, d. h. die Leute die sich schon ca. 4 Jahre hier in Frankreich herumgelümmelt haben auf der ganzen Linie versagt haben und zwar derart, daß sie die Vernünftigen auch noch verrückt gemacht haben. Ging man der Sache auf den Grund, war es der englische Sender! Viele „Kapazitäten“ der Wirtschaft waren Arsch über Kopf nach Deutschland abgehauen indem sie ihre Leute aber sitzen ließen. Hoffentlich hat man soviel Mut, die Burschen zur Verantwortung zu ziehen, die sich schleunigst „auf Dienstreise“ nach Deutschland begaben.

Bezüglich des Paket mit „Brom“ hoffe ich, daß es noch ankommt, da es wahrscheinlich als Einschreiben zu schwer war und so als Paket versandt werden mußte. Also Hoffnung nicht verlieren.

Tue mir den Gefallen und sende Mutter den Brief, da ich z. Zt. verdammt wenig schreiben kann, da ich überlastet bin und gerade ein Kurier (ohne Gepäck) abgeht.

Also alles Gute Schreibe bald
Gruß Vater.

Päckchen mit Tabak u. 12 Zigaretten an Dich unterwegs.

Feldpost wieder wie früher 40260 Eg.

Schreibe die Briefe an Mutter.