Gustav Roos an Mutter Elisabeth und Bruder Günther, 13. September 1939
Mittwoch, den 13. Sept. 1939
Liebe Mutter!
Heute finde ich endlich wieder Gelegenheit Dir zu schreiben. Ich habe gerade Deine Karte vom 1. und Deinen Brief erhalten. Vielen Dank! Inzwischen, seit Sonntag, sind wir wieder in einem anderen Quartier. Wo, weiss Vater wahrscheinlich. In diesen Brief darf ich den Namen des Ortes nicht schreiben.
Vater war ja von Junkerath direkt nach Brühl gefahren. Ich sollte schwer bepackt zu Fuss nach Lissendorf zurück gehen, hatte aber Glück, denn ein Militärtransport nahm mich mit. Im Quartier angekommen, wollte ich mich gerade häuslich niederlassen, als unser Unteroffizier kam und uns sagte, wir sollten unsere Sachen packen, morgen ging’s weiter. Daraufhin sah ich mich gezwungen, die schwer transportierbaren Lebensmittel in Sicherung zu bringen. Ich musste 4 rohe Eier aussaufen, ¼ Pfund Fleischwurst und ¼ Leberwurst zu mir nehmen. Hat mir aber sehr gut getan. Am andern Tag sind wir dann auch mit dem Auto verfrachtet worden. Jetzt liegen wir nun hier in einer Scheune. Es gefällt uns ganz gut hier. Morgens stehen wir (bzw. sollen wir) um 6.00 aufstehen. Erst wenn es „Kartoffelsupp’“ geblasen wird, springen wir auf, holen
uns unsere Ration, essen, machen unsere „Morgentoilette und treten dann zum Morgenapell an. Daran anschliessend haben wir Ordnungsübungen, d. h., denn die Führer haben dazu auch keine Lust, wir machen einen Spaziergang in die Stadt und haben dort dann 1-2 Stunden Ausgang. Nachmittags haben wir frei oder müssen auch schon mal etwas für die Küche zurecht machen. Zur Arbeit sind wir noch nicht gekommen.
Hier ist es schon sehr kalt. In der vorletzten Nacht hätte ich beinahe Eisbeinchen bekommen. Gestern Nacht habe ich es nun so gemacht. Ich habe Hemd Unterhose, 2 paar Hosen, Tuchrock, Mantel angezogen, habe mich ganz in die Zeltbahn eingewickelt und bin dann unter einen 2 m hohen Heuhaufen gekrochen. Kalt war es mir nicht mehr. Höchstens zu warm.
Gestern hatten wir Löhnung. Wir bekamen 10 Mark + 5 M. Putzgeld und dazu 1 Döschen Eckstein und eine Packung Güldenring. Von Paul habe ich gerade noch 3 M geschickt bekommen. Also finanziell geht es mir sehr gut. Aber ausgeben kann man es doch. Ich trinke jeden Tag meinen Liter Milch und flöppe! Sterben tun wir also auf jeden Fall entweder im Krieg oder zu Hause an der Schwindsucht.
Mir geht es sonst gesundheitlich ganz gut. Sehe gut aus und bin grösser, was Dir Vater bestätigen kann. Darum brauchst Du also keine Sorge zu haben.
Ob wir nun länger hier bleiben, ist unbestimmt. Was wir tun müssen, wissen wir auch noch nicht.
Bis jetzt haben wir noch keine Überanstrengung auszustehen gehabt.
Wenn wir nun noch einmal in eine Stadt mit guter Bahnverbindung kommen, kannst Du mich ja einmal besuchen.
Also. Hoffentlich sehen wir uns sehr bald wieder! Und dann mach’ Dir keine Sorge um mich. Es wird schon alles wieder gut werden!
Die herzlichsten Grüsse
an Dich
und alle anderen
Lieber Günther!
Dir scheint es ja sehr gut zu gehen. Keine Schule mehr, tust keinen Strich mehr, und schreibst mir noch freche Briefe. Wenn man einmal, wie ich es war, mit Arbeit überlastet ist und mal ein Couvert ohne Brief losgehen lässt, muss man von dir in jedem Brief etwas von „inhaltsschweren Briefen“ hören. Pfui, Du sollst dich nicht über die Schwächen Deiner Mitmenschen lustigmachen.
Wenn Frau Welter in Ohnmacht fällt,
hast Du auch zu fallen, schimpft sie, hast Du noch mehr zu geifern, kriegt sie Weinkrämpfe, hast Du zu heulen. Merk’ dir das! Hör’ ehrfürchtig die weisen Worte Deines älteren Bruders.
Dann hoffe ich, dass ich bald einen längeren Brief von Dir bekomme, in dem Du mir ganz genau schreibst, wie es in Brühl augenblicklich geht, wie es den Omas geht und was die Kameraden machen.
Also, hoffentlich bekomme ich bald etwas!
Die herzlichsten Grüsse
an Dich
von deinem Bruder