Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 3. August1940

Hochenkirch, den 3. August 40

Liebe Mutter!

In diesem Brief will ich Dir mal schreiben, was in den 2 Tagen passiert ist.

Am 1.8. um 12.40 sollte der Zug los gehen. Um 13.30 fuhr er ab. Der Transport kam von Marburg über Göttingen und Braunschweig nach Hannover. Überall wurden dort auch die Kameradschaften mitgenommen, die sich freiwillig nach Polen gemeldet hatten. Alles war in Stimmung es wurde gesungen, gespielt. Dann um 5.30 waren wir in Berlin. 1 Std. sind wir dann nur durch Berlin gefahren. Auf 4 Bahnhöfen hatten wir 5 Min. Aufenthalt. Mehr nicht. Aber von Berlin habe ich doch einiges gesehen. Das Olympia-Stadion, den Funkturm, den Zoo, die Siegessäule, Krolloper und das Schloss. Weiter ging’s. Langsam wurde es dunkel. Und dann kam die Fahrt durch die Nacht. Ohne Aufenthalt bis Schneidemühl. Dort wurden unsere Passierscheine geprüft und wieder eine halbe Std. später fuhren wir über die Grenze. Von da an wurde es wieder interessant. Man sah wieder Licht. Licht in der Nacht. Die Fenster an den Bahnhöfen erstrahlten hell. Strassenlampen glühten. Wir konnten das nur anstaunen. Langsam begann die Dämmerung. Um 5.00 kamen wir dann mal eine anständige Erbsensuppe. Um ½ 7 fuhren die Hannoveraner dann weiter. Von den 60 Mann stiegen dann 44 in Schönsee aus. Wir anderen 16, unsere Kameradschaft, kamen um 8.00 nach Briesen. Dort bekamen wir

ein 1. Frühstück um 8.30. Ein zweites folgte um 10.30, und 12.00 startete das Mittagessen. Also es wurde fabelhaft für uns gesorgt. Zwischen den einzelnen Mahlzeiten haben wir uns die Gegend angesehen. Wunderbar. Leicht hügeliges Land. Grosse Seen. Unberührt von jeder Kultur. Telegraphenmasten gibt es nicht. In Briesen mit 9000 Einwohner hat niemand elektrisches Licht. Asphaltstrassen sind äusserst rar. Im ganzen Kreis Briesen (75 km Durchmesser) gibt es eine Asphaltstrasse und diese ist die Hauptstrasse von Briesen und wurde erst in diesem Jahre gebaut. Die Gegend hier hat etwa 60 Polen auf 40 Deutsche. Meist hört man in den Städten polnisch. Auf dem Land ist das heute anders. Kein polnischer Bauer besitzt mehr einen Hof. Da sitzen heute Deutsche drauf.

Na, ja und um 2.00 ging’s dann weiter zu unserem Bestimmungsort. Es war die tollste Fahrt, die ich in meinem Leben mitgemacht habe. Eine Lokomotive! Aus dem Jahre 1905, eigentlich ja museumsreif. Viereckige kleine Wägelchen hintendran. Die sagen so zerbrechlich aus. Wir waren zu bange einzusteigen. Aber was sein muss muss sein. Also die Koffer rein. Wir nach!! Der Zug hatte drei Wagen. Er fuhr ab. 2 Minuten drauf stand er wieder. Ein Anlauf – sie fuhr dann wieder, ja bis zu dem Berg. Da hielt sie. Fluchen des Zugführers und das fürchterliche Lachen unsrerseits half nichts. So viel Last hatte das dolle Bähnchen noch nicht mitgehabt. Und es fuhr nicht. Da kam der Schaffner zu uns und bat uns, doch bitte auszusteigen!! Das haben wir dann getan. Singend und johlend zogen wir neben dem Bähnchen den

Berg hinauf. Polnische Zustände!!

Nach zwanzig Minuten kamen wir dann in Hohenkirch an. Am Bahnhof warteten einige Equipagen!!!

Wir stiegen aus. Besahen uns die Typen. Zwei nette Mädel waren dabei.

Der Ortsbauernführer begrüsste uns. Dann: „Wer heisst Roos?“

Ich meldete mich.

Darauf wurde ich den Mädels vorgestellt.

Es waren die Töchter und eine Nichte meines Bauern.

Wir stiegen in eine Sportequipage und unter den Neidvollen Blicken der Kameradschaft fuhren wir ab.

Eine halbe Stunde vom nächsten Dorf, also von Hohenkirch liegt das Gut. Ich wurde sofort den Eltern vorgestellt. Prächtige Leute!! Meine Stube wurde mir gezeigt. Sie ist ein hochmodernes Wohnzimmer. Coutch, Chaiselongue, Buffet und Kredenz u. s. w. Dann habe ich zu Kaffee getrunken. Eine Stunde drauf wurde gegessen. Das Essen ist grossartig. Hier gibt es keine Lebensmittelkarten. Nur Seifen- und Textilkarten. Batterien, Fahrradmäntel alles kannst Du hier bekommen. Alles so in Ordnung.

Samstag morgen wurde ich um 8.00 geweckt. Man wollte mich zuerst mal ausschlafen lassen. Den Vormittag habe ich sozusagen nichts getan. 4 Säcke Häcksel habe ich geholt und geholfen den Schweinestall reinmachen. Dafür habe ich mal wieder zweimal gefrühstückt. Mittags gab es Milch (Vollmilch!!) mit Kartoffel Rührei und Speck. So was tut gut.

Nach einer Stunde Mittagspause, gings an die Arbeit. Also, die Ernte ist hier schon all herein. Nur noch etwa 5 Wagen dann ist entgültig Schluss. Wir sind also richtig gekommen. Na, so haben wir am Nachmittag die Kühe zur Tränke geführt und dann 5 Wagen Gerste abgeladen. Da bin ich ans Schwitzen gekommen. Um 7.00 war alles erledigt. Gegessen umgezogen, und dann bin ich mit den beiden Mädel losgezogen. Im Dorf wurde getanzt. Eine Batterie, die hier in der Umgebung in Stellung liegt, hatte das veranstaltet. Bis 3.30 haben wir getanzt. Aber keine Foxtrotts oder Swing, sondern nur Polkas, Rheinländer und Schieber. War fabelhaft. Die ganzen Studenten waren da. Endlich gings dann nach Hause. Es wurde langsam hell. Um 4 lag ich dann in der Klappe.

Heute morgen um 8.00 wieder raus. Kaffee. Und dann Reitschule!! Bis jetzt. Der Bauer hat elf Pferde. Es hat prima geklappt. Zuerst mit Sattel und Steigbügel und dann ohne. Trab und erste Gangart. Ich freue mich schon auf das nächste Reiten.

Jetzt ist es 12.30. Bald gibt’s Essen. Ich freue mich jetzt schon drauf. Weisst Du was es gibt? Du fällst um! Für heute Mittag sind für 5 Personen 2 Hühner und 5 Tauben geschlachtet worden. Prost! Auf Kartoffel verzichte ich.

So, das wäre nun alles vom Hof!

Jetzt mal was vom Geld.

Ich sitze hier ohne einen Pfennig Geld!!!

Wenn wir vom Arbeitsamt Geld bekommen,

dann erst am Ende der Erntehilfe.

Also ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du ...

Dann habe ich noch nötig: einen Schlafanzug, ein Handtuch, einen Zeichenblock, einen Bleistift (weich) und Radiergummi. Also schick’ mir bitte das und ein paar Zigaretten. Ich werde dann versuchen etwas zu schicken oder mitzubringen.

Wie geht es Euch in Brühl?

Günther wird ja wohl schon zurücksein von Trier!

Und was macht Vater eigentlich? Ich habe noch nichts von ihm gehört. Habt ihr seine Adresse noch nicht? Ich habe ein paarmal an seine alte Adresse in Trier geschrieben, aber keine Antwort bekommen.

Schickt diesen Brief bitte an Vater, wenn es geht! Und er soll mir bald mal schreiben!

Dasselbe erwarte ich von Euch!

So, und nun Schluss.

Wenn ich Eure Antwort habe, schreibe ich wieder!

Die besten Grüsse sendet Euch und allen anderen

Adresse:
G. Roos,
bei Herrn Arthur Nehring
Hohenkirch b/Briesen über Thorn (Westpr.)