Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 6. Oktober 1940
Hannover, den 6. Okt. 1940
Liebe Mutter!
Heute morgen bekam ich einen Brief. Die Freude war gross; denn sowas kommt selten! Wenn Du andeutest, ich würde Dir in letzter Zeit wenig schreiben, hast Du nicht ganz unrecht. Von vorigen Montag an arbeite ich nämlich mit Hochdruck. Seit Mittwoch habe ich 4 Zeichnungen fertig gestellt. Das will was heissen; denn bis 7.00 habe ich ausser Mittwoch jeden Tag Vorlesung. Also immer Nachtarbeit! Gestern morgen bin ich um 6.30 aufgestanden, war um 7.30 in der Abteilung, habe bis 1.00 gezeichnet und bin dann essen gegangen. Von 2.00 bis 7.00 habe ich wieder gezeichnet und nach dem Essen bis 3.00. Heute morgen habe ich bis 12.00 geschlafen. Bis jetzt, 9.00, habe ich wieder gezeichnet. Jetzt bin ich aber auch verdammt müde. Du wirst fragen, warum ich so jeck bin. Nu, fall’ nicht in Ohnmacht: Vater schrieb mir er käme am 13.10. nach Hause und bliebe bis zum 22. Daraufhin habe ich ihm sofort geantwortet, dass ich zu diesem Zeitpunkt, falls sein Urlaub bestimmt sei, auch in Brühl sein würde. Deshalb arbeite ich mit Überdruck. Wenn Du an das Fahrgeld denkst, wird es Dir ja übel werden. Aber ich denke: Durch Vater hast Du doch auch in letzter Zeit viel gespart. Die Anzüge, Kleider, u. s. w. Dann wird das wohl doch auch nicht so schlimm sein. Und ich glaube Vater wird sich auch freuen, wenn wir
mal wieder alle zusammen zu Hause sind. Du wirst sagen: „Warte bis Weihnachten!“ Aber im Kriege kann bis dahin soviel passiert sein. Also es steht für mich fest: „Ich komme, wenn Vater kommt!!!“ un wenn ich ze Fohs no Kölle jonn! Darum möchte ich Dich bitten, mir bis dahin noch 10-14 Rm. zu schicken! Wenn mir Vater schreibt, sein Urlaub sei bestimmt, fahre ich Samstag morgen von hier ab. (Samstag habe ich nur Modellieren.) Um fahren zu können, habe ich diese Woche schon vorgearbeitet. Ich bringe, damit Vater mal sieht, was ich hier mache, meine Zeichnungen mit. Meine schmutzige Wäsche und die Sachen schicke ich morgen früh ab. Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich die Sachen noch hier hatte.
Seifenkarte habe ich. Kleiderkarte kann ich Dienstag abholen. Ich bringe dann alles mit.
Du fragst, wie es mit dem W.B.K. ist. Wir 21 sollen bis mindesten Neujahr Zeit haben. Ich bin selbst noch nicht dagewesen, da ich keinen Wert darauf lege, damit in Berührung zu kommen. In der Kameradschaft ist auch alles weg. Die meisten waren ja 20er und drüber. Genauso die Architekten. Nur junges Kroppzeug läuft jetzt überall herum.
Mir geht es noch ganz gut. Das Essen auf dem Haus ist noch immer in Ordnung. Morgen gibt’s, höre und staune, - Rehbraten. Hat Frau Kautz hintenherum „ohne“? bekommen.
Mit meiner Wirtin verstehe ich mich prima. Ich bekam diese Woche oft Obst von ihr. Heute mittag ein paar Stücke Kuchen und heute abend fand ich 2 Eier in meiner Küche.
Aber trotzdem am schönsten ist’s zu Hause. Das merke ich am meisten, wenn ich abends so allein auf meiner Bude sitze. Na, hoffentlich klappt alles. Thönnissen ist Mittwoch auch nach Brühl gefahren.
Also, die besten Grüße
an Dich und den kleinen „Casanova“