Gustav Roos an Vater Toni, 5. und 6. Dezember 1940

Zwischen 3. und 7. Dezember 1940

Lieber Alter!

In Deinem letzten Päckchen machtest Du mich, natürlich ganz schonend, darauf aufmerksam, dass es langsam wieder einmal Zeit würde, dem „Alten Herrn“ etliche Zeilen zugehen zu lassen. Da mir Dein Wunsch Befehl ist, komme ich dem nach.

Wenn mich einer höflich bittet, kann ich nie wiederstehen und wenn Du das tust, dann erst recht nicht. Also, auf Deine höfliche, dringende Bitte bestätige ich Dir ausser denen, die im letzten Brief vom 16.11. angeführt waren, noch den Empfang eines Päckchens mit Butter, Zigaretten und eines mit Käse, Mandarinen, Datteln, Butter, Konserven und diesem bewussten Bruchstück eines Briefes! Ausser dem Paket mit den Hemden, das ja an Mutter ging, habe ich seitdem ich wieder in Hannover bin, alle Päckchen, die Du mir angekündigt hattest, erhalten. Ich danke Dir besonders für das blaue Hemd, das mir so gut gefällt, dass ich es schon 1 ½ Wochen ununterbrochen anziehe, dann auch für das Pfd. Butter u. den Käse! Sonst müsste ich nämlich mit 1 Pfd. Butter den ganzen Monat auskommen und Käse zu holen, lohnt sich garnicht.

Nach dem Anpfiff (gemeint ist der bewusste Brief) sehe ich mich gezwungen, etwas zu meiner Entschuldigung zu sagen:

Da Du weisst, dass ich 2 Semester belegt habe, wird es Dich nicht wundern, dass ich viel zu arbeiten habe. Wenn nun noch 1 ½ Wochen Pause dazukommt, wird die Arbeit nicht kleiner. Ausserdem hatte ich noch bis voriger Woche vor, mit meiner Vorprüfung zu beginnen. Es ist aber aus zeitlichen, technischen und finanziellen Gründen unmöglich, das jetzt noch zu machen. Und deshalb habe ich das fallen gelassen. Mit zwei Semestern an die Vorprüfung heranzugehen ist auch etwas gewagt.

In der Kameradschaft sind wir zu 16 Mann. 2 Altkameraden, die die Ämter des Kameradschaftführers und Fuxenmajors haben. Mit mir sind 3 Kameraden aus dem vorigen Semester noch da, die sich notgedrungen in alle übrigen Ämter teilen müssen, so dass

ich Lustmolch, Feldpostwart und Kameradschaftsbuchführer bin. Dieses nimmt nun auch Zeit in Anspruch. Daneben laufen noch Plakate für die Studentenführung. Im Wintersemester pflegen alle Verbindungen möglichst viele frohe Feste zu feiern, die natürlich nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld kosten, wie Dir Mutter auch bestätigen kann. Seitdem ich von Brühl weg bin, habe ich mit gemacht: 4 Kneipen, 1 grosse Gästekneipe, 3 Tanztees in der Kameradschaft. Jede Woche Freitags Kneipe in der Bauhütte, was allerdings immer nur 90 Pf. kostet, und dazu 2 Budenzauber. Da die Kameradschaft, wenn 16 Mann 3,50 RM bezahlen nicht bestehen kann, ist der Beitrag auf 6,00 erhöht worden. Morgen ist Stiftungsfest in der Bauhütte, übermorgen Nikolaustanztee und nächste Woche die zwei Abschlusskneipen. Auf der letzten Kneipe werde ich meine erste Biermensur austragen müssen.

Rechne diese Zeit zu 48 Kollegs pro Woche und sieh’ bitte mal ob da viel übrig bleibt. Seitdem ich hier bin, habe ich schon ohne diese Nacht 9 Nächte vollkommen durchgearbeitet.

Ich hoffe, das genügt zu meiner Entlastung. Sonst, gesundheitlich geht es mir sehr gut. Du kannst auch unbesorgt sein, essen tue ich immer anständig.

Augenblicklich bin ich bis auf 2,03 M vollkommen pleite: Mutter hatte mir am 1. 70,- geschickt. Als ich 28,50 Miete u. Brand, 22,50 Essen, 6,50 für ein Geschenk für meine Tischdame, 4,32 Zigaretten für die Kameraden im Felde, dazu Essen, 1 x Kino, Papier, ausgegeben hatte konnte ich nur noch diese Reste zusammenkratzen. Und übermorgen ist Tanztee!!

Ich freue mich ganz gewaltig auf Weihnachten. Endlich mal wieder zu Hause! Das heißt, wenn nichts dazwischen kommt. Und was kann schon kommen? Natürlich nur der Kommis. Schommers ist für morgen eingezogen worden. Es ist also nicht weiter verwunderlich, wenn ich die schlimmsten Befürchtungen hege. Schreib’ Mutter aber nichts wieder! Sonst löst sie sich gleich wieder in Tränen auf.

Wenn alles gut geht, kann ich in der Zeit vom 20.-24. nach Hause kommen. Früher nicht, weil vom 16. ab erst Abtestate gegeben werden und ich auch früher auch nicht mit allem fertig sein werde.

Wann kommst Du nach Brühl?

Schreib’ mir bitte bald wieder!

Und zürne Deinem unglücklichen Sohne nicht

zu sehr wegen seines langen Schweigens. Er ist in sich gegangen und bereut tief seine Sünden.

Nach Deinem Beispiel habe ich Günther auch einmal anständig angepfiffen. Meinst Du Dein jüngster Sprössling würde einmal seinem in der Fremde schmachtenden Bruder schreiben! Der denkt im Traum nicht dran!

So, bis zum nächsten Mal

die herzlichsten Grüsse

Gustav