Gustav Roos an Bruder Günther, 13. März 1941
Braunschweig, den 13.III.1941
Lieber Günther!
Von Geschreibsel wagst Du im ersten Satz Deines „Schreibens“ zu reden. Wenn Du Dir mal Deinen Brief besehen hättest, hättest Du Dir das „Geschreibsel“ verkniffen!!
Du sprichst soviel von Fliegern. Gestern habe ich den ersten Alarm beim Kommis erlebt:
9.00 legten wir uns still und friedlich in die Klappe; bald sägte alles. „Raus!! Dalli!!! Wird’s bald?!!“ Noch ganz in Morpheus’ Armen sprang ich aus dem 1. Stock runter, sah wie alles zum Spind rannte. Unklar kam es mir zum Bewusstsein: „Fliegeralarm –“. Ich kam und kam nicht zu klarem Bewusstsein. Hemd an, Unterhose – verdammt! Falsch eingestiegen, aus, und nochmal, Strümpfe, Schuhe, Poulower, Rock, Mantel, Koppel, Seitengewehr, Stahlhelm, Gasmaske um den Leib geworfen. Bettzeug gepackt und runter in den Keller. 4 Minuten später lag ich auf einem Holzwollesack. Und versuchte zu pennen. Scheisse!! Hast Du schon mal
in Stahlhelm und Gasmaske gepennt? Eine Stunde lang habe ich es versucht, endlich gelang es. Aber wie!! Alles drückte. Das Koppel, die Stiefel, und mal erst der Blecheimer auf dem Kopf. Aber ich schlief! -
½ 12 wars losgegangen.
Aus meinem unruhigen Schlaf wurde ich um, ich guckte auf meinen Wecker, verflucht!!! 2 Min. nach 6, durch den allgemeinen Aufbruch geweckt. Stell’ Dir das vor. 6.00 ist sonst Wecken. 6.02 endete der Alarm. Grund genug zum Fluchen!! Denn infolgedessen ging der Dienst weiter wie gewöhnlich. Die Knochen schmerzten. Müde – oh!! Dazu noch Stubendienst. Bett machen, Kaffeeholen, Stube fegen, Staubwischen, Umschnallen, 7.00 raustreten. Verschlafen schlichen wir vor die Kaserne.
Eilmarsch!! 10 km!! Nach Mascherode! Nachrichtenausbildung.
Dann lag mein Funktrupp vor’m Gerät auf der Zeltbahn. Von Dienstag lag noch Schnee. Auf dem Wasser liegt noch eine Eisdecke. Dazu nicht richtig geschlafen. – Erschütternd.
Aber auch das ging zu Ende und 1.00 kamen wir wieder in der Kaserne an.
Heute nachmittag war dann noch Unterricht und Waffenreinigen. 6.00 Feierabend.
Gottseidank sind ja nicht alle Tage so, wie heute. Gestern war’s zum Beispiel i. O. Auch wieder Nachrichtenausbildung. Aber nur ½ Std. von der Kaserne entfernt. Mit meinem Trupp lag ich in einer Kneipe in Querum. Den ganzen Vormittag in einem warmen Zimmer. Gefunkt haben wir da mit einer wahren Begeisterung. Bouillon getrunken, uns mit Brötchen vollgeschlagen, die Stube vollgequalmt. Das war fabelhaft. Nur wenn man jetzt, wo es kalt ist, im Gelände vorm Sender liegt, ist es Scheisse. Da friert man zu.
Im Frühling und Sommer muss das Funkerleben wirklich schön sein!! Und bis dahin ist’s ja nicht mehr lang! Dann also man tau!!
In vier-sechs Wochen hoffe ich auch auf einen kleinen Stellungswechsel, hoffentlich irgentwohin, wo’s immer warm ist.
Morgen beginnt das „bunte Wochenende“ mit Geländeausbildung! Samstag noch Exerzieren. Dann
ist die vierte Woche auch schon wieder rum. Die Zeit vergeht schnell. Du kommst ja garnicht zum Nachdenken. Und dann auf einmal wird man wach, und zwei Jahre sind vorbei und als lustiger Zivilist sieht man wieder die Welt.
Heute habe ich auch das Päckchen von Ohm Jupp bekommen. Sonntag werde ich ihm dafür danken.
Schommers hat endlich gestern wieder ein Lebenszeichen von sich gegeben. Er liegt noch immer in Osnabrück. Jupp schrieb mir heute aus Wien-Stammersdorf. Ihm wird, wie er schreibt, ein gewisser Körperteil stark aufgerissen.
Und nun wird’s Zeit, ins Bett zu gehen. Die alten Knochen sind gewaltig müde!
Schreib’ mir bitte bald wieder!
Alles Gute und herzliche Grüsse!
Heil und Sieg!