Gustav Roos an Bruder Günther und Mutter Elisabeth, 27. März 1941
Celle, den 27. März 1941
Lieber Jünni!
Im Vertrauen auf Deine Intelligenz schreibe ich diesen Brief. Da manche Leute ein mehr oder minder berechtigtes Interesse am Inhalt meiner Briefe zeigen, wollen wir etwas vereinbaren. Du wirst Dich doch an die Geheimschrift aus „Atomgericht 500“ erinnern, nicht? Nach diesem Schema also:
1. Ein Brief, bei dem eine Geheimcode angewendet ist, trägt an Stelle einer Ortsbezeichnung vor dem Datum, die Buchstaben yxz, ....!
2. Die Code ist folgende: Die Worte, die gelten, folgen immer in einem Abstand von x Worten.
3. Die Zahl x gibt Dir die Einerstelle im Datum. Beispiel: 6. April = 6 = x = Abstand, oder 23. Jan. x = 3 = Abstand.
Das erste Wort wird nicht mitgezählt. Beisp.: o = Wort; Abstand = 6
o 1 2 3 4 5 o6
4. Bekanntlich rücke ich bei Beginn eines neues Abschnittes nie ein. In dem mit xyz bezeichneten Briefe beginnt der Code-Text, dann, wenn ein Abschnitt eingerückt ist.
5. Eigennamen werden so verschlüsselt:
Beispiel: Bergen heisst verschlüsselt:
a b c d e f g h i j k l m n o p q r s st t u v w x y z.
1 2 54 6 3
Datum = 27.3.1941 3.4.1941
14,5,6,3,12,6.
Dann ist die x-Zahl für den ersten Buchstaben
B = 2
für e = 7
für r = 3
g = 1
e = 9
n = 4
Bergen = d l u h u r
= 4,12,21,8,14,18.
wenn das Datum nicht genug Zahlen hat, dann von vorne weiter
Soviel Buchstaben, wie die x-Zahl angibt gehe ich beim Verschlüsseln vor, beim Entschlüsseln musst Du sie also zurückgehen:
Die Buchstaben, die ich nun so gefunden haben, setze ich dann in Zahlen um (a = 1; b = 2; u. s. w.)
6. Will ich nun aber mal eine wirkliche Zahl angeben, dann ist das gültige Wort vor der Zahl das Wort „Zahl“, im x-Abstand folgt dann die Zahl!
So und nun ein Beispiel für den ganzen Brief!
Ich will verschlüssen
„Wir liegen in Bergen“
xyz, den 27.3.1941
Lieber Günther!
Mir gehts gut, ach so gut u. s. w. immer weiter...... bis dann einmal im Brief ein Absatz ist. Jetzt kommt er
! Wir 1sind 2nun 3schon 4sieben 5Wochen Soldaten, liegen 1irgendwo 2in 3unserem 4Grossdeutschland 5gut 6aufgehoben in 1einem 2kleinen 3Ort, 4meine Feldpostnummer ist 4,12,21,. Willi ist weg und hat Anschrift 8,14,18,
So hoffentlich hast Du das gefressen. Nun etwas von mir:
Wie Du schon weisst liege ich heute eine Woche in Bergen auf dem Truppenübungsplatz. Der Eindruck, den ich von dort bekam ist gewaltig: Kaserne an Kaserne, auf einer Länge von ~4-5 km, in der Tiefe 800 breit, immer an Strassen, auf je 6 Mannschaftsblocks eine Kantine, eine Unmenge an Kantinen. Phantastische Schwimmbäder, Ställe, Läden, an allen möglichen Bauten. Bergen kann 90000 Muskoten fassen. Stell’ Dir das vor!
Dazu scheusslich viel Gelände, nur Heide.
Augenblicklich sitze ich in Celle in einem Café. Hierhin bin ich gekommen, da ich angegeben habe, dass ich noch keine Militärbrillen habe. Heute morgen habe ich mir hier nun eine besorgt, folglich habe ich am Nachmittag frei.
Der Dienst ist nicht so angenehm, wie in Braunschweig. Überhaupt unsere Siegfriedkaserne vermissen wir doch.
Da wir noch keine Geräte haben, machen wir regelrechten Infantriedienst, und das heisst Exerzieren, Marschieren, den ganzen Tag. Lange werden wir nicht mehr hier liegen, vielleicht noch 14 Tage und dann geht’s raus. Ob nach Osten, oder Süden, oder Westen? Wer weiss? Man spricht hier von Griechenland. Mir kann’s recht sein!
Man glaubt, Bergen liege in Sibirien. Heute über 5 cm Schnee! Und eine Kälte -! Dazu dann Flachrennen im Gelände. Glück dass ich nicht dabei bin!!
Post habe ich seit 2 Wochen nicht mehr bekommen! Vielleicht ist aber heute abend etwas dabei. Dann noch etwas an Mutter!
Liebe Mutter!
Mit meinen zehn Mark bin ich knapp ausgekommen.
Jetzt geht’s raus und dann will ich nicht immer auf die Löhnung angewiesen sein.
Kannst Du mir also vielleicht 30 RM schicken? Du wirst wieder sagen „Sparen für nach dem Krieg!“ Ich bin aber nun Soldat und will noch etwas vom Leben haben. Nicht, dass ich bisher nichts gehabt hätte! Im Gegenteil! Auch will ich es nicht draufmachen. Aber mal gut essen, Kuchen, mal anständig Kaffee trinken, das alles fehlt mir. Ich hungre nach süssem. Seit 6 Wochen bin ich 2 x in Braunschweig und einmal heute hier. Wenn ich nun mal anständig esse, Kaffee trinke, dann ist mein Wehrsold futsch! Also schick’ mir das Geld doch bitte!! Denk’ aber auch dran, dass ich nicht mehr lange hier bin!!
Vater wird bestimmt auch nichts dagegen haben!
Nun wird es Zeit wieder nach Bergen abzuhauen!
Also alles Gute und die herzlichsten Grüsse
an Dich, Günther und die Omas!
Heil und Sieg!