Gustav Roos an Mutter Elisabeth, 14. Juli 1941
Russland, am 14.7.1941
Liebe Mutter!
Um Dich nicht wieder zu lange warten zu lassen, will ich Dich heute mit einem Brief beglücken.
Gestern, am 13.7. morgens kurz nach 4.00 überschritten wir die Beresina. Heute sind wir schon wieder 40-50 km weiter. Feindberührung haben wir, trotzdem wir gleich nach den Vorausabteilungen kommen kaum noch. Wir tippeln nur.
Man kann nun sagen, wir sind in Russland. Ja, hier hört Europa auf. Asien beginnt. Russland, Land der Weite, Land der Grosszügigkeit, riesige Wälder, Steppen, Getreidefelder, unendliche Grasflächen. Tückische Sümpfe. Unterschiedlich sind die Bewohner. Wo das Land gut trägt, da sind die Bauern reicher und sauber, wo nicht, da erstarrt alles in Schmutz.
----, am 15.7.41
Auf dem Marsch, in einer Pause schreibe ich weiter. Es ist 5.00 morgens. Seit 2.00 quälen wir uns vorwärts. Kaum 9 km werden wir haben. Die Strasse ist wieder eine Katastrophe, hoch Sand, im Walde ein Sumpf. Es ist ein Kampf um Kilometer. Weisst Du nebenbei, wie man eine russ. Strasse herstellt? Pass auf! Man wähle einen möglichst feinkörnig sandigen Acker, nehme einen Pflug und wühle das Land willkürlich in einer Breite von 3-50 m in grösstmöglichster Tiefe auf. Dann nehme man ein Sieb und sondere noch einmal die feinsten Körner aus, dickere werfe man zur Seite, Steine von mehr als 50 cm Durchmesser verteile man geschmackvoll auf der
Strasse. Sie beleben das Bild. Will man eine Strasse 1. Ordnung herstellen, zerschlage man Felsblöcke, verteile sie möglichst unregelmässig, aber so, dass die scharfen Kanten nach oben sind. Die Strasse ist fertig.
Am selben Tage, mittags im Quartier. Quartier ist gut. Wir liegen in einer grossen Scheune auf dick Stroh. Das letzte Stück Marsch hierher war das schlimmste. Andauernd blieben unsere Wagen stecken, immer wieder mussten wir des Sumpfes wegen Umwege machen. 3 Std. brauchten wir für lumpige 6 km. Noch drei Tage soll diese Strecke anhalten, dann kommt wieder „guter“ Weg!
Ein grosser Teil von uns hat zur Zeit Durchfall und Magenbeschwerden. Das liegt wohl an unsrer Verpflegung. Mittags immer Hülsenfrüchte, Nudeln, oder Reis, mit viel Fleisch und Fett. Abends gibt es Schmalz, dazu Käse oder Fleisch aus Büchsen, bzw. Fisch. Dazu oft noch Braten, Bouillon. Also kräftig ist das Essen, aber ich glaube zu fett, und vor allen Dingen vermissen wir Frischgemüse u. Obst.
Na, und sonst? Alles flucht, der Krieg, sprich Marschieren, kommt uns am Hals raus. Und dann ist kein Ende zu sehen; denn Russland ist gross. Immer weiter ...!
Was macht Ihr in Brühl. Von Euch und Vater habe ich noch keinen Brief nach dem 22.6. erhalten, und nun, wo ich versetzt bin, kann es wohl noch länger dauern.
Heute kann ich Dir ja auch mal erzählen, wo ich vor dem 22.6. war.
Von Bergen kamen wir nach Garbatka, eine kleine Stadt, 30 km von Radom, von da aus marschierten wir nach Witulin, einem Ort bei Biala Podlaski, von da aus in ein Barackenlager bei Janow-Podlaski, hier blieben wir dann bis zum 21., an diesem Tag zogen wir bis kurz vor den Bug. Weitere Stationen auf meinem Marsch waren dann Brest, Theble, Rozana (am Kessel), Baramowizce, Nieswiec und Beresina. Natürlich zogen wir nicht gerade durch von Ort zu Ort, sondern bogen auf dem Wege dahin mal nach Norden, mal nach Süden ab. So erklärt sich auch die grosse km-Zahl, die insgesamt heute 850 beträgt. Die 1000 ist nahe.
Sonst gesundheitlich fühle ich mich wohl. Keinerlei Beschwerden. Meine Füsse sind noch in Ordnung. Seit Kriegsbeginn noch keine Blase gelaufen. Nur müde bin ich, wie wir alle. Ich bin einmal beim Waffenreinigen eingeschlafen. Bei den Marschpausen fällt mir oft die Zigarette aus der Hand und dann bin ich weg.
Es wird hier gesagt, bei jedem km, den wir hinter uns gebracht hätten, sähe man Wolken von Idealismus aus den Kolonnen aufsteigen und sich in nichts auflösen! Das stimmt! Überflüssiger Idealismus vergeht uns hier. Aber trotzdem, ich fluche und es satt bin, auf der anderen Seite bin ich wieder stolz darauf, dass ich es aushalte und später einmal sagen kann: Ich war
auch dabei!!
Und Du sollst Dir keine Sorgen machen!! Es geht schon alles gut und in nicht zu langer Zeit werde ich auch mal wieder heim kommen!!!
Noch ein paar Wünsche:
Turnschuhe (ich muss doch noch ein Paar haben)
Zigaretten!!! (Hier gibt es nämlich keine
Brausepulver
Süsses
Und, wenn die grossen Päckchen wieder erlaubt sind, ein Sporthemd! Mein Reichseigenes Hemd zerfällt mir am Körper!
So nun alles Gute und viele Grüsse
an Dich, Günther, die Omas und alle Onkels u. Tanten!
Heil und Sieg!
Gustav
Brief bitte sofort weiter an Vater!!